Commentaires Septembre 2025
Commentaires Nr. 38
Frankfurt, 30. September 2025
Wie geht es mit Frankreich weiter? Es kommt nicht zur Ruhe. Schafft es die Koalition in Deutschland trotzdem Europa einen neuen Impuls zu geben in Zeiten, in welchen europäische Flughäfen Cyberangriffen zum Opfer fallen, russische Drohnen über Polen und Dänemark fliegen und Trump die Welt weiter brüskiert? Das deutsch-französische Gipfeltreffen in Toulon ließ diese Hoffnung zu. Es ist nur einen Monat, aber eine gefühlte Ewigkeit her.
Nach der Gelbwestenbewegung Ende 2018/Anfang 2019 versuchte die Bewegung „Bloquons tout“ (Alles Blockieren) am 10. September ihrem Namen gerecht zu werden: für die Organisatoren waren die nur 200.000 Teilnehmer in ganz Frankreich eine Enttäuschung. Eine Woche später (am 18.September) folgten 500.000 dem Streikaufruf der Gewerkschaften. Das diffuse Bewusstsein der hohen Umverteilung schürt die Angst diese zu verlieren. Transferleistungen erreichen in Frankreich 46 % des BIP, 40 % in Deutschland und zeigen Wirkung: der GINI-Koeffizient (dem Maß der Ungleichheit der Einkommen, wobei 0 die absolute Gleichheit ist und 1 die maximale Ungleichheit) sinkt in Frankreich von 0,29 auf 0,25, in Deutschland von ebenfalls 0,29 auf nur 0,28. Wenn es schon in Deutschland heißt, man müsse den Sozialstaat anpassen, wie ist es wohl in Frankreich?
Dem profunden Unbehagen in der französischen Bevölkerung entspricht die politische Lähmung. Ist Frankreich hier Deutschland voraus, oder ist es ein rein französisches Phänomen?
Die Ernennung des neuen Premier Ministers Sébastien Lecornu erfolgte nur 48 Stunden nach der gescheiterten Vertrauensfrage von Francois Bayrou im Parlament. Nun muss Lecornu seine Regierung bilden und dafür die tiefen Gräben eines zersplitterten Parlaments überwinden. Seit der überraschenden Parlamentsauflösung 2024 ist die Nationalversammlung in drei Blöcke gespalten: die Rechtspopulisten, die Linke und das Regierungslager. Umfragen zufolge dürften sich die Mehrheitsverhältnisse bei möglichen Neuwahlen nicht wesentlich ändern.
Nur der linke Block zeigt Risse. Demzufolge könnten nur dort mögliche Allianzen zustande kommen. Der linkspopulistische Mélenchon und seine Partei „La France Insoumise“ (LFI) sprechen Macron, und somit dem von ihm ernannten Lecornu die Legitimität ab: sie fordern den Rücktritt von Macron, wie auch der Rassem-blement National (RN) von Marine Le Pen. Alle anderen Parteien halten diese Meinung für verfassungswidrig: Macrons 5 Jahresmandat endet im April/Mai 2027. Diese Überzeugung muss Lecornu -der ex-Republikaner und nun Mitglied der Partei Renaissance von Macron/Attal- nutzen, um die Unterstützung der Sozialisten (und eventuell der Grünen) sicherzustellen und für Stabilität bis zu der Präsidentschaftswahl 2027 zu sorgen.
Diese Chaos-Strategie spielt in die Hände von Donald Trump. Er setzt Europa nach wie vor unter massiven Druck. Es war ihm anzusehen, wie sehr er sich am 18. September freute, dass so viele Bittsteller aus Europa ihn im Weißen Haus aufsuchten und -der Reihe nach- von ihm das Wort erteilen ließen. 6 Staats-und Regierungschefs, plus Ursula von der Leyen, plus der NATO-Chef Rutte waren nach Washington geeilt, um Trumps Unterstützung gegen Russland zu gewinnen, nachdem er wenige Tage zuvor Putin in Anchorage den roten Teppich ausgerollt hatte. Positiv hervorzuheben ist, dass die Europäer sich so schnell auf Inhalt und Vortrag einigen konnten: seitdem zieht Trump eine US-Beteiligung an den Sicherheitsgarantien in Erwägung. Jedoch nur wenn Europa den Einsatz finanziert und somit die amerikanische (anstelle der europäischen) Rüstungsindustrie unterstützt. Aber wie belastbar sind diese Zusagen?
Kaum zurück von ihrem US-Ausflug beginnt die Diskussion über die mögliche Truppenentsendung um einen Frieden in der Ukraine zu sichern. Es werden über 100 Tausend Soldaten erforderlich, um die 3000 Kilometer-Grenze zu sichern. Frankreich und UK haben schon zugestimmt. Deutschland hadert. Auch die Reaktion auf die sich vermehrenden russischen Luftraumverletzungen legen die unterschiedlichen Meinungen offen. Die Türkei haderte 2015 nicht: sie schoss am 15. November 2015 ein russisches Kampfflugzeug nach zahlreichen ignorierten Warnungen ab.
Trump spielt seine Macht ohne Rücksicht auf vermeintliche Verbündete aus. Das Handelsabkommen ist schon mit 15 zu 0 für die USA ausgegangen. Zölle für Stahl und Aluminiumprodukte bleiben bei 50 %. Es werden 15 % Zölle auf die meisten europäischen Produkte bei Einfuhr in den USA erhoben. Davon ausgenommen sind Chemikalien, Generika, einige Luftfahrtkomponenten, Halbleiter-Ausrüstung, einige Agrarprodukte und kritische Rohstoffe. Die 15 % sind zwar besser als die 30 % mit denen Trump drohte, wurden aber nur erreicht, weil Europa seine Zollgebühren für US-Waren auf 0 gesetzt hat. Mehr war nicht drin, weil Europa befürchtet, sonst den militärischen US-Schutzschirm und die unentbehrliche Unterstützung im Krieg gegen Russland zu verlieren. Außerdem verpflichtet sich die EU für 250 Milliarden USD US-Energie-Produkte pro Jahr zu kaufen (eine Verdreifachung!!), sowie die militärische US-Unterstützung der Ukraine zu finanzieren. Trump behauptete zudem, dass EU-Unternehmen Investitionen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar in den USA bis 2028 tätigen. Dass die USA einen 150 Mrd. US-Überschuss(!) bei den Dienstleistungen haben zählt nicht. Kein Wunder, dass Trump sich für den „größten Deal aller Zeiten“ bedankte. Von der Leyen gab zu, es sei ein schwerer Prozess gewesen. Für das besonders exportabhängige Deutschland entspräche dies einem Rückgang des BIPs von 0,2 % p.a. Der französische Ex-Premier Minister François Bayrou sprach von „Unterwerfung“. So erpressbar ist Europa: wollen wir das wirklich?
Jean-Dominique Giuliani, Präsident der Robert Schuman Stiftung, formuliert es so: „Die Spezialität der europäischen Eliten besteht nicht mehr darin, von einem perfekten Europa zu träumen, sondern sich über ein unvollkommenes Europa zu beklagen. Diese weit verbreitete Geisteshaltung hat einen Namen: Pessimismus. Und einen Preis: Resignation. Wenn man nicht mehr an sich glaubt, gibt es dann noch Grund zur Hoffnung?“
Fakt ist, dass seit Jahresbeginn die USA ihre finanzielle Unterstützung der Ukraine eingestellt haben: die Zahlen haben sich in der Erhebung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft seit Trumps Wiederwahl nicht mehr verändert. Erwartungsgemäß kommt von Ungarn gar keine Unterstützung, aus Italien nur 2,6 Mrd. und aus Spanien nur 1,5 Mrd. Dafür unterstützt das entfernte Japan die Ukraine mit 13 Mrd.
Ukraine-Hilfe Auszahlungen (in Klammern Zusagen)
(in Mrd. Euro) | Insgesamt | Finanziell | Humanitär | Militär |
USA | 114,6
(119) |
46,6
(50) |
3,4
(3,4) |
64,6
(65,6) |
UK | 18,6
(27,3) |
3,8
(6,2) |
1,0
(1,0) |
13,8
(20,1) |
EU insgesamt | 141,0
(204,9) |
66,3
(102,8) |
12,7
(13) |
62,5
(89) |
EU | 63,2
(98,9) |
60,5
(96,2) |
2,7
(2,7) |
– |
Deutschland | 21,3 | 1,4 | 3,4 | 16,5 |
Frankreich | 7,6 | 0,8 | 0,8 | 6,0 |
Polen | 5,0 | 0,9 | 0,5 | 3,6 |
Niederlande | 9,0 | 0,7 | 0,8 | 7,5 |
Dänemark | 10,1 | 0,1 | 0,8 | 9,2 |
Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 12.August 2025
Wir müssen uns an die Weisheit von Demosthenes erinnern, der schon im alten Griechenland vorschlug „Worte, die retten, denen vorzuziehen, die gefallen“.
Christophe Braouet