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„Emmanuel Macron stärkt die Würde des Amtes“

VON CHRISTOPHE BRAOUET

Christophe Braouet ist Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft Frankfurt, die ihren Sitz in Königstein hat und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern verbessern möchte.

Mit den Präsidentschaftswahlen 2017 hat der Zersplitterungsprozess der traditionellen Parteien in Frankreich seinen historischen Tiefpunkt erreicht: Bei den ersten Präsidentschaftswahlen der fünften Republik 1965 erzielten die zwei bestplatzierten Kandidaten im ersten Wahlgang (Charles de Gaulle und François Mitterrand) über 75 Prozent. Seitdem reduzierte sich der Stimmenanteil der zwei Bestplatzierten kontinuierlich, um 2017 auf nur 45 Prozent der Stimmen (nur 36 Prozent der Wahlberechtigten) zu fallen.

Dass der Sieg in der Stichwahl mit über 66 Prozent deutlicher ausfiel als gedacht, ändert an dieser Tatsache wenig: Der bescheidene Wählerzuspruch ist Emmanuel Macron so bewusst, dass sich seine ersten Worte nach dem Sieg gerade an jene richten, die ihn nicht aus Überzeugung gewählt haben, sondern Marine Le Pen verhindern wollten. Und er fügt hinzu, dass „die Aufgabe gewaltig ist“: Die politischen Inhalte und die Machtstrukturen müssen nach seinem Empfinden neu definiert werden. Die Machtstrukturen haben insbesondere in den letzten zehn Jahren gelitten: zunächst unter Sarkozy, dem Präsidenten „Bling, Bling“, dann der allseitig enttäuschende François Hollande.

Die Würde des Amtes

Der Sieg Macrons wäre nicht ohne die Diskreditierung der Kandidaten des politischen Establishments möglich gewesen: Der auf 6 Prozent Zuspruchsquote gefallene Hollande lässt sich nicht aufstellen, und Fillon fällt auf 20 Prozent aufgrund des „Penelope Gates“. Trotz seines jungen Alters hat sich Macron seit über 10 Jahren mit den Fragen der Machtstruktur der Fünften Republik auseinandergesetzt. Er möchte die Würde des Präsidentenamtes wiederherstellen und dieses mit den Insignien der Macht erneut ausstatten. Diesem Ziel entspricht die erste (verfassungskonforme) Ansprache vor dem Kongress in Versailles und der Wunsch, dies jährlich zu wiederholen, im Sinne einer Rede zur „Lage der Nation“.

Die Tageszeitung „Le Monde“ titelte am nächsten Tag: „Macron setzt die Ziele fest, Philippe füllt sie mit Inhalten“: Diese Rollenverteilung zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister wurde schon in den 70er Jahren von dem hoch angesehenen Verfassungsrechtler Maurice Duverger für richtig gehalten. Dass die Rolle des Premierministers dabei nicht zum einfachen „Mitarbeiter“ degradiert wird (so hatte Sarkozy seinerzeit seinen Premierminister François Fillon bezeichnet), wurde vom neu ernannten Premierminister Philippe deutlich gemacht: Dieser hob in seiner ersten Ansprache vor dem Parlament die Arbeit von zwei besonderen Vorgängern hervor, nämlich die des Gaullisten Jacques Chaban-Delmas (der eine „Neue Gesellschaft“ („Nouvelle société“) gründen wollte), und von Michel Rocard, der sich zu dem Zeitpunkt als Sozialdemokrat gegen François Mitterrand profilierte. Zwei Premierminister aus gerade den beiden Lagern, die bis zur Wahl von Emmanuel Macron als unvereinbar galten.

Insofern Macron mit den neuen Medien groß geworden ist, setzt er auch auf eine entsprechende Kommunikation. So twittert er in Richtung Trump in Antwort auf dessen Ausstieg aus dem Pariser Umweltabkommen „Make our planet great again“, empfängt Putin in Versailles und Donald Trump zum Nationalfeiertag: Als Chef der Armee besucht er die Truppen in Mali, taucht mit dem Atom-U-Boot „Le Terrible“… Bilder der Macht, aber auch Anspruch, das umzusetzen, was er angekündigt hat, inhaltlich.

Für Europa und die Welt

Während der Wahlkampagne war er der einzige Pro-Europa-Kandidat. Er fängt damit an, das Außenministerium in „Ministerium für Europaangelegenheiten und Außenpolitik“ umzubenennen. Dazu passt, dass die Europa-Hymne am Wahlsiegabend im Louvre gespielt wurde. Inhaltlich wird er sich für mehr Integration, insbesondere in Finanz- und Wirtschaftsfragen, sowie für eine bessere Aufstellung bei dem Schutz europäischer Grenzen, nicht nur im Sinne einer integrierten Verteidigung, sondern auch von Entwicklungshilfe, einsetzen.

Um Angela Merkel glaubwürdig gegenübertreten zu können, weiß er, dass er zunächst in Frankreich Strukturreformen umsetzen muss, die zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit all denjenigen führen, deren Partikularinteressen leiden, insbesondere den Gewerkschaften und Beamten. Er hat die Reform des Arbeitsmarktes angekündigt: Diese soll Ende September in Kraft treten. Seit Ernennung der Regierung werden auch schon über 50 Termine mit den Gewerkschaften abgearbeitet.

Der Haushalt muss saniert werden. Premierminister Philippe spricht vom Tanz auf dem Vulkan und kündigt die Kürzung der Ausgaben um 60 Milliarden bis 2022 an. Dazu gehören das Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst und die Kürzung der Zuschüsse für soziales Wohnen in Höhe von 5 Euro pro Monat für 6,5 Millionen Betroffene, darunter die Studenten. Bis jetzt hat er schon viel unternommen, um seine angekündigten Reformen umzusetzen. Dafür nimmt er die sinkenden Zuspruchswerte um 10 Prozent (auf immerhin noch 54 Prozent) in Kauf. Er wird nun den schon angekündigten Streiks ab dem 12. September standhalten müssen: Es ist alternativlos, um glaubwürdig zu bleiben. Deshalb wird er auch standhalten. Er muss aber aufpassen, dass er sich nicht wie Ikarus – bei allem erstaunlichen Erfolg und Zuspruch – die Flügel verbrennt. Dabei dürfte ihm ab Ende September Angela Merkel helfen, weil sie einen solchen Verbündeten zur Reform und internationalen Behauptung Europas braucht.