Wohin rollt das europäische Fahrrad?
Jean François-Poncet und Peter Müller über den Weg der EU / Gespräch im Römer
Daß sich ein Franzose positiver über Europa äußert als ein Deutscher, entspricht nicht unbedingt den landläufigen Erwartungen. Zwar waren sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller und Jean François-Poncet « zu 95 Prozent einig ». Wie der ehemalige französische Außenminister sagte, aber es blieben doch Nuancen in dem Gespräch über die Frage « Wie definiert sich Europa? », das die Stadt und die Deutsch-Französische Gesellschaft im Kaisersaal des Römer ausrichteten.
Günther Nonnenmacher, Mitherausgeber dieser Zeitung und Moderator des Gesprächs, verglich die Europäische Union mit einem Fahrrad, das immerzu rollen müsse, weil es sonst umfalle. In diesem Bewegungsdrang gerate aber gelegentlich die Fahrtrichtung aus dem Blick. Deutlicher als François-Poncet sprach Müller davon, daß Europa – oder genauer: die EU – sich durch die Grenzen definiere. Er sei deshalb dafür, « im Prozeß der europäischen Erweiterung eine Atempause einzulegen ». Denjenigen, denen es um eine Erweiterung zu tun sei, schwebe eine Art Freihandelszone vor, sagte Müller. Er rate hingegen zunächst zu einer Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit, denn andernfalls drohe der EU die « Handlungsunfähigkeit ». Auch wenn es ein « flammendes Bekenntnis » der großen Koalition in Berlin zum europäischen Verfassungsvertrag gebe, könne er so nicht in Kraft treten, nachdem ihn die Franzosen und die Niederländer abgelehnt haben.
François-Poncet gab zu bedenken, daß es möglicherweise zu einer unübersehbaren Fülle von Änderungswünschen käme, wenn über Teile des Vertrags neu verhandeln wurde. Für das « Nein » der Franzosen habe die Furcht vor der Globalisierung eine unheilvolle, aber wichtige Rolle gespielt. Viele seiner Landsleute hätten den Vertrag als « trojanisches Pferd » der Globalisierung angesehen. François- Poncet, Außenminister zu Zeiten des Präsidenten Giscard d’Estaing, ließ erkennen, daß er von einem « Europa der zwei Geschwindigkeiten » nicht viel hält. Es löse nicht alle Schwierigkeiten, wenn einige Länder rascher vorankämen, denn letztlich müsse das « Europa der 25 » funktionieren.
Wie schwer es Europa gelegentlich mit sich selbst hat, beschrieb Müller: Im saarländisch-lothringischen Grenzgebiet dürften Notarztwagen und Rettungshubschrauber jetzt auch auf jeweils fremdes Territorium ausrücken, um zu helfen. « Das ist zwar völkerrechtswidrig, aber nach acht Jahren Verhandlungen machen wir das jetzt einfach. » Christophe Braouet, Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft in Frankfurt, kündigte an, daß die « Deutsch-Französischen Gespräche » künftig jedes Jahr Ende Januar stattfinden sollen.