Commentaires Dezember 2024
Commentaires Nr. 35
Frankfurt, 31. Dezember 2024
Zum Jahresende 2024 sind Deutschland und Frankreich außer Atem, auf der Suche einer verlässlichen Mehrheit im Parlament. Und beide sollten sich an den Spruch von Talleyrand erinnern: „Wenn ich mich selbst ansehe, tu ich mir leid, wenn ich mich vergleiche, tröste ich mich“. In Deutschland ist nach immerhin 20 Jahren der Zyklus der Agenda 2010 nun abgeschlossen. Die Infrastruktur wurde zwecks Einhaltung strikter Haushaltsregeln vernachlässigt; die Industrie leidet unter den stark gestiegenen Löhnen (der Mindestlohn ist bei 12,88 Euro ab dem 1. Januar 2025 nun höher als in Frankreich, bei 11,88 Euro seit dem 1. November) und der viel zu teuren Energie: fossile Kraftwerke müssen den kontinuierlichen Strom gewährleisten und gleichzeitig wird die Windenergie teuer von Nord nach Süd transportiert und auf Atomenergie verzichtet, die aber -bei Bedarf- aus Frankreich importiert wird. Volkswagen zeigt mit seinem Abbau von 30.000 Stellen in Deutschland das Ausmaß der Herausforderungen. Es ist Zeit für einen Neuanfang. Auch Frankreich sucht nach neuem Atem. Die zu Beginn der ersten Macron-Präsidentschaft eingeführten Reformen (Arbeitsrecht, Steuersenkungen für Unternehmen, Rentenreform) zeigen zwar ihre Wirkung (Frankreich war 2024 zum fünften Jahr in Folge das EU-Land mit den meisten Auslandsinvestitionen). Die Sanierung der Staatsfinanzen stellt aber die Regierung -welcher Couleur auch immer- vor die Herausforderung nach 50 Jahren Staatsdefiziten (!) nun die Ausgaben zu reduzieren, also die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst vor allem lokaler Ebene zu reduzieren. Mit der Rating- Herabstufung zahlt Frankreich für seine Neuverschuldung so viel wie Griechenland: Frankreich wird 2025 ca. 340 Milliarden Euro, kaum weniger als Deutschland (380 Mrd.).
Die Unzufriedenheit drückt sich in beiden Ländern durch Sparquoten auf Höchststand (16 %) und den wachsenden Zuspruch der Extreme aus. In Frankreich besteht keine parlamentarische Mehrheit: das linke Lager kommt auf 193 der 577 Abgeordneten, das „Macron Lager“ auf 165, die Republikaner auf 55 und das „Le Pen Lager“ auf 143, wobei jedes der Lager aus mehreren Parteien besteht. Mit dem Christdemokraten François Bayrou wurde nun die 4.Regierung des Jahres ernannt Mélenchon und Le Pen setzen auf die Zermürbung der Institutionen. Mélenchon erklärte sich zum Sieger, schloss jeden Kompromiss von Beginn an aus (bei nur 70 der 193 „seines“ Lagers!) und verweigerte die Ernennung eines sozialdemokratischen Premier Ministers (z.B. Bernard Cazeneuve, dem letzten Premier Minister von François Hollande), der das linksradikale Programm seiner LFI nicht 1 zu 1 umgesetzt hätte. Emmanuel Macron blieb dann nur übrig einen konservativen Premier Minister zu ernennen. Der verhandlungssichere Republikaner Michel Barnier fiel jedoch Le Pen zum Opfer: sie forderte immer mehr Anpassungen beim Haushaltsentwurf ein, um dem von Mélenchons Partei eingereichten Misstrauensvotum zuzustimmen. Die Bayrou-Regierung ist mindestens so konservativ wie die von Barnier: ob Le Pen mehr Milde zeigen wird, bleibt abzuwarten. Ob Deutschland am 23. Februar für eine stabile Regierung sorgen wird, ist fraglich: die CDU/CSU ist mit ca. 30 % stärkste Partei und auf zwei Koalitionspartner angewiesen:
Dreier-Koalitionen sind immer schwierig, wie wir es jüngst gesehen haben.
Regierungskoalitionen werden sich also nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Hoffen wir, dass der Druck des machtbewussten, internationalen Dreigestirns Trump, Putin und Xi Jinping sie dazu bewegt die Landes-und Europainteressen über das parteipolitische Taktieren zu stellen. Der Christdemokrat Bayrou und die wahrscheinlich siegreichen Christdemokraten der CDU/CSU, die alle pro-europäisch sind, können sich vielleicht gegenseitig stärken, indem sie den europäischen Sockel festigen.
Denn wir müssen den EU-Wirtschaftsraum wettbewerbsfähiger machen (siehe den Letta-Bericht vom April 2024). Hierzu zählen zunächst Skaleneffekte. Letta nennt das Beispiel der Telekom-Branche: ein chinesisches Unternehmen setzt seine Entwicklungskosten auf 450 Millionen Kunden ab, ein amerikanisches auf 150 Millionen und ein europäisches auf 7 Millionen. Ähnlich geht es dem Bankensektor (die Bankenunion ist überfällig), der Luft-und Raumfahrtindustrie, dem erfolgreichen Airbus-Beispiel zur Folge. SpaceX sichert mehr als 50 % aller Starts und die Ukraine war auf Musks Satellitensystem angewiesen, um den russichen Agressor in Schach zu halten! Wir brauchen eine gemeinsame Energiepolitik, um die EU-Klimaziele zu erreichen und ein gemeinsames Verständnis der Verteidigungspolitik und der Rüstungsindustrie
Thomas Buberl, der deutsche Chef des größten französischen (und weltweiten) Versicherungskonzerns Axa sagt zurecht: „Deutschland braucht Frankreich für die Zukunft und umgekehrt.(…) Die Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland hängt übrigens nicht nur von den Regierungen ab. Zwischen beiden Gesellschaften, aber auch im Unternehmensbereich müsste man sich mehr austauschen und mehr zusammenarbeiten“ (Handelsblatt 13. Oktober 2024)
Und wir müssen unsere politischen Abhängigkeiten abbauen. Diese werden in der Ukraine und in Syrien deutlich. Putin unterstützt nach wie vor die Assad-Kämpfer. Obama hat im August 2013 die von ihm gezogene rote Linie in Syrien gerissen. Mit einer fatalen Doppelkonsequenz für uns Europäer: Putin fühlte sich ermutigt die Krim zu erobern und Europa musste mit dem Flüchtlingsstrom aus Syrien klarkommen: allein in Deutschland wurden es ca. eine Million und stärkten der AfD den Rücken. Es führte zu einer weiteren Abhängigkeit, und zwar der Türkei: im Gegenzug zu ca. 10 Milliarden Euro EU-Zahlungen p.a.(!) willigte Erdogan ein bis zu 3 Millionen syrische Flüchtlinge in türkischen Lagern aufzuhalten und die Kurden wurden erneut Opfer der Geschichte: nachdem sie entscheidend zum Sieg über den islamischen Staat beigetragen hatten, wird nun ihr Schicksal Erdogan und Putin überlassen.
Schon längst führt Russland über die Ukraine hinaus einen hybriden Krieg gegen uns. 2015 wurde der deutsche Bundestag, und 2017 die französische Präsidentschaftswahl gehackt. 2024 wurden die Präsidentschaftswahlen in Rumänien (und ggfs. in Georgien) gefälscht, Kabel in der Ostsee beschädigt. Auch die US-amerikanische Abhängigkeit birgt wachsende Risiken. Elon Musk unterstützt Donald Trump und explizit die AfD, wie in der „Welt am Sonntag“ vom 28. Dezember 2024 veröffentlichten Gastbeitrag zu lesen ist. Die Sorge ist groß, dass Trump mit Putin einen Friedensvertrag für die Ukraine abschließt, ohne sich mit Europa abzustimmen. Auch wenn Europa die Ukraine nun mehr als die USA unterstützt- auch militärisch, haben die USA das Sagen und Europa wird zum Zaungast degradiert.
Ukraine-Hilfe (Zahlen in Mrd. Euro)
Insgesamt | Finanziell | Humanitär | Militär | |
USA | 119,0 | 50,0 | 3,4 | 65,6 |
UK | 23,6 | 6,2 | 0,9 | 16,6 |
EU insgesamt | 201,3 | 120,2 | 10,2 | 70,4 |
EU | 115,6 | 113,1 | 2,5 | – |
Deutschland | 15,5 | 1,4 | 3,1 | 11,0 |
Frankreich | 4,9 | 0,8 | 0,6 | 3,5 |
Polen | 4,5 | 0,9 | 0,4 | 3,2 |
Niederlande | 7,2 | 0,7 | 0,6 | 5,9 |
Dänemark | 7,4 | 0,1 | 0,3 | 7,0 |
Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 30. Dezember 2024 (letzte Aktualisierung am 6. Dezember 2024)
Friedrich II der Große sagte zu Recht „Diplomatie ohne Waffen ist wie Musik ohne Instrumente.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein friedliches neues Jahr, mit der Hoffnung, dass wir Europäer unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.
Christophe Braouet