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Commentaires Dezember 2023

Commentaires Nr. 31 

Frankfurt, 31. Dezember 2023

 

Es ist die Zeit der Neujahrswünsche.  Dabei hilft uns Schönreden nicht weiter. Im Mai hat Staatspräsident Macron das Skript seiner Bratislava-Rede zur EU-Erweiterung Berlin vorgelegt: keine Reaktion…Im September war – erstmalig – beim Evian-Treffen der deutsch-französischen Wirtschaftslenker kein einziger Vertreter der deutschen Bundesregierung vorgesehen (in letzter Sekunde wurde Staatssekretärin Dr. Brantner eingeflogen). Vor dem Hamburger Gipfel im Oktober hat die französische Regierung der Bundesregierung vorgeschlagen gemeinsam GPU -Chips zu kaufen, um niedrigere Preise zu erhalten. Der Staatssekretär und Scholz-Vertraute Kukies hat es verweigert, weil „der Markt es regeln soll“.

Mit dem Karlsruher Urteil muss sich die Bundesregierung fragen, welche europäischen / deutsch-französischen Ziele dabei priorisiert werden. Wie herausfordernd die Beantwortung ist, zeigt der „Doppel-Wumms“, dem 200 Milliarden Euro Hilfspaket für sinkende Strom-und Gaspreise in Deutschland. Es sollte der Befreiungsschlag von der russischen Gas-Abhängigkeit und dem überhöhten Strompreis sein, um Bürger zu entlasten und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken. Deutschland hat sich die finanziellen Spielräume durch Sparen (auch an Infrastruktur) ermöglicht, muss sich aber fragen, ob es somit nicht zur Spaltung der Union führen könnte, weil kein anderer Staat sich solche Stützungspakete leisten kann. Ähnlich geht es beim Überbieten an Subventionen, um ausländische Investoren zu locken, wie die 10 Mrd. um Intel für Brandenburg zu gewinnen.

Henry Kissinger mahnte im Bloomberg-Interview anlässlich seines 100. Geburtstags, dass Deutschland, wie nach dem Rücktritt Bismarcks, an einem Scheideweg sei. Die “Tragödie”, die nur wenige Jahrzehnte später zu zwei Weltkriegen führte, lag in der damaligen Unfähigkeit Deutschlands, seine eigene “Transformation” als größte europäische Kontinentalmacht zu erkennen, ohne die Nachbarstaaten zu brüskieren.

Gemeinsam gemeinsame Ziele verfolgen sollte die Überschrift der neuen Priorisierung sein. Auf das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 haben sich alle europäischen Staaten geeinigt. (Noch?) nicht einig sind sie sich über den Weg dahin. Deutschland ärgert sich über eine der von Frankreich ergriffene Maßnahme zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes: Wagen mit einem Gewicht über 1,6 Tonnen werden ab dem 1. Januar 2024 besonders besteuert, was u.a. die großen SUVs und deutsche Hersteller trifft. Frankreich ärgert sich seit 2015 über den deutschen AKW-Ausstieg – im Alleingang. In Dubai plädierte Emmanuel Macron bei der COP 28 für den schnellen Ausstieg aus der Kohle-Energie und den Ausbau von Atomenergie. Dank der Geschmeidigkeit der englischen Sprache wurde schlussendlich das „transitioning away“ von fossilen Energien beschlossen.

Nun zu den Wünschen. Wunsch Nr. 1: Nicht Handeln hat einen hohen Preis. Es würde zu einer Erwärmung von 3,5° führen. Die Kosten der dadurch verursachten Naturkatastrophen (insb. Flut- und Orkanschäden) würden sich allein für Frankreich auf ca. 260 Mrd. Euro p.a. (=10 % des BIP, so die staatliche Agence de l’environnement et de la maitrise de l’énergie (ADEME). Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss die Produktion erneuerbarer Energien bis 2030 verdreifacht und die dafür erforderlichen Rohstoffe gesichert werden. Entwicklungsländer sind besonders von fossilen Energien abhängig: aufgrund ihrer knappen finanziellen Ressourcen, muss ihnen dabei geholfen werden. Der in Dubai beschlossene Fonds Altèrra soll bis 2030 im Schulterschluss mit Privatinvestoren wie Blackrock 250 Milliarden Dollar mobilisieren. Bis dato sind es ca. 60 Milliarden, davon die Hälfte von den Emiraten selbst, die somit vom Empfänger – zum Geberland werden. Eine gemeinsame europäische (deutsch-französische) Strategie war nicht wahrzunehmen. Es ist größte Zeit, dass die nächste COP (im November 2024 in Baku) und gemeinsam Maßnahmen zur Erreichung der gemeinsam gewünschten CO2 Neutralität formuliert werden.

 

Wunsch 2:  Klima – und Wirtschaftsauswanderung werden zunehmen, vor allem aus Afrika. Die afrikanische Bevölkerung wird sich bis 2050 von derzeit 1,3 auf 2,5 Milliarden fast verdoppeln. Es liegt in unserem ureigenen Interesse für Arbeitsplätze vor Ort zu sorgen. Im Juni 2023 gab es in Paris auf Einladung von Emmanuel Macron eine Initiative für einen neuen Weltfinanzpakt, um die Corona- und Zinssteigerungslast der Südstaaten zu mildern. Im November folgte in Berlin auf Einladung von Olaf Scholz der G-20 Gipfel „Compact with Africa“, um für Investitionen im Süden zu werben. Weiter so!

 

Wunsch Nr. 3:  Für den „Economist“ ist die größte Gefahr für das kommende Jahr die Wiederwahl von Donald Trump, der uns Europäer mit „America First“ testen wird, ob in der Ukraine oder in Wirtschaftsfragen.

Wladimir Putin hat das Verbot für Atomwaffentests (am 2. November) aufgehoben und wettet auf die Wiederwahl von Donald Trump, der Frieden durch Einstellung der Unterstützung der Ukraine ankündigt. Schon heute blockieren deshalb die Republikaner die Verabschiedung des US-Haushalts. Zwecks größerer europäischer Unabhängigkeit wird Frankreich mehr Ukraine-Unterstützung leisten und Deutschland sich klar für deutsch-französische Rüstungsprojekte (vom Panzer bis zum Kampfjet) positionieren müssen.

 

Ukraine-Hilfe (Zahlen in Mrd. Euro)

Insgesamt Finanziell Humanitär Militär
Insgesamt 247,1 132,7 16,7 97,8
USA 75,4 26,4 2,7 46,3
UK 13,8 6,4 0,6 6,9
EU inkl. Mitgliedsstaaten 131,9 83,7 8,4 41,4
EU 81,4 79,1 2,3
Deutschland 22,1 1,5 2,6 18,1
Frankreich 1,8 0,8 0,4 0,6
Norwegen 7,6 3,7 0,2 3,8

Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 29. Oktober 2023

 

Wunsch Nr. 4: Der brutale und grauenvolle Angriff der Hamas auf Israel hat ein neues Licht auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft geworfen. Juden fühlen sich erneut bedroht: eine Schande! Bürger der (mehrheitlich islamischen) Zuwanderung identifizieren sich – in Frankreich wie in Deutschland – mit den Palästinensern. Sehr bemerkenswert, weil es das Nahostgeschehen und dessen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft in die richtige Perspektive rückt, ist die Video-Botschaft des Vize-Kanzlers Habeck (https://www.youtube.com/watch?v=ZBtAtsdco-8). In Frankreich hatten schon zuvor die Unruhen zur Absage des Staatsbesuchs in Deutschland im Juni geführt. Ein stärkerer Austausch über Integration, eine gemeinsame Haltung zur Zuwanderung sind das Gebot der kommenden Jahre, beste Antwort auf populistische Sonntagsreden und um das gute Klima für die notwendige Zuwanderung zu schaffen. Zur Linderung des Fachkräftemangels braucht Deutschland 400 Tausend Zuwanderer…pro Jahr: wie es Gerald Braunberger i apropos des Artikels “Populist Leaders and the Economy“ in der Sonntags Allgemeinen Zeitung am 10. Dezember richtig schrieb: „wirtschaftspolitisch ist der Populismus eine schlechte Alternative“.

 

Wunsch Nr. 5: Am 9. Juni wird das neue EU-Parlament gewählt. Die Rechtsradikalen wollen zur zweitstärksten politischen Kraft im Parlament aufsteigen. Meloni siegte in Italien, Wilders in den Niederlanden. In Frankreich jubelt der Rassemblement National nach der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes und ist stärkste politische Kraft. In Deutschland wählte Pirna am 17. Dezember den ersten Oberbürgermeister der AfD, nunmehr eindeutig zweitstärkste Partei in den Meinungsumfragen, die 2024 bei drei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern einen weiteren Schub erhalten dürfte.  Hoffen wir, dass es Deutschland und Frankreich gelingt ein gemeinsames europäisches Zielbild zu formulieren, welches unser Gesellschaftsmodell im internationalen Wettbewerb behauptet.

 

Wunsch Nr. 6: In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesundes und glückliches Neues Jahr!

 

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Christophe Braouet