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Commentaires Juni 2022

Commentaires Nr. 25

Frankfurt, 30. Juni 2022

Frankreich hat gewählt und mit Erfolg die EU-Ratspräsidentschaft abgeschlossen, trotz Ukraine-Krieg.

Die Wahlen zeigen eine wachsende Distanzierung zur Politik, insbesondere der jüngeren Generation, die sich bei den Parlamentswahlen zu 70 % enthalten hat. Es haben sich drei Blöcke gebildet: die Rechtsradikalen um Marine Le Pen, die Linken um den Populisten Jean-Luc Mélenchon und Emmanuel Macron der sich bei der Präsidentschaftswahl als einziger pro-europäischer Kandidat behauptete. Er ist mit Francois Mitterrand der einzige Präsident der V. Republik der für eine zweite Amtszeit gewählt wurde. Trotz Gelbwesten und Corona- Krise erhielt er im ersten Wahlgang sogar eine gute Million mehr Stimmen als 2017. Die Wahlen haben die Überlebensfrage der üblichen Regierungsparteien gestellt: die Sozialistin Anne Hidalgo erhielt nur 1,8 % der Stimmen und auch die konservative Kandidatin Valérie Pécresse verfehlte knapp die 5 % Marke, was in Frankreich die Rückerstattung der Wahlkampfkosten ermöglicht.

In der Stichwahl baute Marine Le Pen ihre Wählerbasis weiter aus: ihr Stimmenanteil erhöhte sich im Vergleich zu 2017 um 7,5 % auf 41,5 %. Mélenchon ist zur führenden Persönlichkeit des linken Lagers geworden und bildete ein Wahlbündnis mit den Kommunisten, den Sozialisten und den Grünen für die Parlamentswahl.

Anders als 2017, aber wie von 64 % der Franzosen gewünscht, fehlt der Regierung die absolute Mehrheit im Parlament. Diese unter der V. Republik seltene Situation zwingt zu einer Koalition der Unwilligen. Mélenchon disqualifiziert sich wenn er die Arbeitgeber als „Parasiten“ bezeichnet und bereits jetzt massive Protestbewegungen im Herbst ankündigt. Ein Vertreter seiner Partei (Eric Coquerel) ist nun trotzdem zum Vorsitzenden des Finanz-Ausschusses gewählt worden: Nicolas Sarkozy hatte eingeführt, dass dieser Vorsitz zur besseren Kontrolle einem Mitglied der Opposition anvertraut werden soll. Marine Le Pen freut sich über eine 89 Abgeordneten starke Fraktion und möchte wahlweise Gesetzentwürfe unterstützen. Die traditionellen Konservativen (Republikaner) behaupten ihre Wähler hätten sie als Opposition gewählt, und müssten dieser Oppositionsrolle treu bleiben.

Dabei sind sie die einzigen mit welchen im Parlament eine Mehrheit für die unentbehrlichen Strukturreformen erreicht werden könnte, um die mit 112% des BIP hohe Staatsverschuldung anzugehen. Sie wird mit den steigenden Zinsen eine zu hohe Belastung für den Haushalt. Insofern Steuererhöhungen unmöglich sind (Frankreich hat heute schon die höchsten Steuereinnahmen der entwickelten Welt), müssen Einnahmen dank Steigerung der Beschäftigungsquote erhöht (jetzt 12 % niedriger als in Deutschland) und Ausgaben gesenkt werden. Der Chef-Ökonom von Natixis Patrick Artus meint, dass bei gleicher Beschäftigungsquote wie in Deutschland der französische BIP um 12 % und die Steuereinkünfte um 6 % höher liegen würden.

In diesem Kontext hatte Frankreich im ersten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft inne. Emmanuel Macron selbst setzte sehr ambitionierte Ziele: “ wir (müssen) von einem Europa der Zusammenarbeit innerhalb unserer Grenzen zu einem machtvollen Europa in der Welt, souverän, was frei entscheiden und seine Zukunft selbst bestimmen kann übergehen.„

Nach Ausbruch des schon über drei Monaten anhaltenden Angriffskrieges in der Ukraine wurde an den Zielen festgehalten, deren Brisanz in dramatischer Weise belegt wurde. Sechs Sanktionspakete wurden verhandelt und Europa trat nach langer Zeit endlich mal wieder vereint auf. Der Beitrittsstatus der Ukraine und Moldawien wurde einstimmig beschlossen, der für März angekündigte Strategische Kompass grundlegend überholt, mit dem Ergebnis einer 5.000 Mann-Einsatztruppe, die 2025 einsatzbereit sein soll.

Auch die Klimaziele und eine größere energetische Unabhängigkeit wurden im Sog des Ukraine-Kriegs bekräftigt und am 29. Juni wurden schließlich fünf entscheidende Texte zum Klimaschutz verabschiedet: CO2 Steuer für importierte nicht EU-Produkte, Stopp der Verbrenner-Autos ab 2035 und ein Anteil von 40 % erneuerbarer Energien bis 2030.

Auch das Ziel Europa besser für die digitale Welt zu rüsten wurde mit der Verabschiedung des ‚Digital Markets Act‘ für die Regulierung der Plattformen trotz großen Widerstands der GAFAM verabschiedet. Die

Mindestbesteuerung von Multinationalen Konzernen scheitert bis dato am Veto von Ungarn, schon wieder Ungarn…

Für die Gestaltung der Präsidentschaft wurde ein Budget von 140 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Auch wenn der Krieg in der Ukraine Corona aus den Medien verdrängt hat, der Virus ist noch nicht besiegt und nimmt aktuell wieder an Dynamik zu. 66,4 % der Weltbevölkerung sind mittlerweile erstgeimpft, 61 % hat eine zweite Impfung erhalten. Deutschland zeichnet sich durch eine deutlich niedrigere Corona-bedingte Sterberate aus. Leider steigen die Zahlen erneut und das Maskentragen wird wahrscheinlich nicht ausreichen: Gastronomie. Reisebranche und vom Tourismus abhängige Wirtschaftsbranchen (z.B. Luftfahrt und Flughäfen), Regionen (z.B. Korsika in Frankreich) oder Länder wie Griechenland, Spanien oder Thailand werden erneut um die Herbstsaison bangen müssen.

Tableau25

Quellen : Johns Hopkins Corona Resource Center () & Oxford University (https://ourworldindata.org/coronavirus-testing)

(*) % im Vergleich zum 31.12.2021

Hoffen wir auf die Rückkehr der Vernunft und das baldige Ende des Kriegs in der Ukraine! Und rüsten uns für die Zukunft!

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Christophe Braouet