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Commentaires Juni 2023

Commentaires Nr. 29

Frankfurt, 30. Juni 2023

Emmanuel Macron sollte zum ersten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit…23 Jahren kommen! Jacques Chirac war auf Einladung von Gerhard Schröder das erste ausländische Staatsoberhaupt, welches im neu eingeweihten Reichstagsgebäude hervorhob: „In erster Linie denke ich an die Staatsmänner, die – bei Ihnen wie auch bei uns – mit der historischen Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich begannen. Welche Kühnheit und welchen Mut mussten sie aufbringen, um unmittelbar nach dem Kriege in der Sprache des Vertrauens und der Zusammenarbeit miteinander zu reden. Ein Wunder ist auch, dass unsere beiden Länder in jeder wichtigen Phase die Männer fanden, die die Annäherung festigten und immer weiter voranbrachten.“

Es gilt diesen Mut wieder zu finden um die wundersamen Fortschritte der europäischen Integration weiterzuschreiben. Zwischenzeitlich ist der Rechtsradikalismus nämlich in beiden Ländern zur inneren Bedrohung Europas geworden. In Frankreich baut Marine Le Pen ihren Stimmenanteil bei jeder Wahl aus und könnte das nächste französische Staatsoberhaupt sein. In Deutschland wurde ein erster AfD Landrat gewählt und die AfD ist erstmalig mit 19,4 % zweitstärkste Partei (gewichteter Durchschnitt aller Meinungsforschungsinstitute am 30. Juni), zwar weniger als die Union (27,2 %), aber mehr als die SPD (19 %) und die Grünen (14,8%) und deutlich mehr als die FDP (6,6 %). Die Linke würde es mit 4,4 % nicht mehr in den Bundestag schaffen. Zum Vergleich: Marine Le Pen erhielt im ersten Wahlgang 23 % bei den letzten Präsidentschaftswahlen:

Für traditionelle Parteien ist es höchste Zeit den Bürgern besser zu vermitteln wie ihr Leben verbessert werden soll. Dies gilt an erster Stelle für das gefühlt entfernte Europa. Am Jahrestag der Schuman-Erklärung (dem 9. Mai) sagte Olaf Scholz vor dem Europaparlament, die Welt des 21. Jahrhunderts sei Multipolar geworden und zog daraus drei Lehren für die EU: „Erstens: Europas Zukunft liegt in unserer Hand. Zweitens: Je geeinter wir Europa aufstellen, desto leichter ist es, uns eine gute Zukunft zu sichern. Und drittens: Nicht weniger, sondern mehr Offenheit, mehr Kooperation sind das Gebot unserer Zeit.“ Um Europa einen guten Platz in der Welt von morgen zu sichern muss sich die EU verändern. „Wir brauchen eine geopolitische EU, eine erweiterte und reformierte EU, und nicht zuletzt eine zukunftsoffene EU“.

Die internationale Positionierung Europas ist einer der Punkte in welchen sich Deutschland und Frankreich annähern müssen: im Mittelpunkt stehen die Beziehungen zu den USA, wie es die Kritik am Interview Emmanuel Macrons vom 8. April auf der Rückreise aus China erneut zeigte. Sein Satz « Die strategische Autonomie Europas muss der Kampf Europas sein“ löste den alten Reflex des Atlantismus aus.

Dabei wurde lediglich der Anspruch auf Verteidigung der eigenen europäischen Interessen, wie schon zu Zeiten des Irak-Kriegs wiederholt. „Die Falle für Europa wäre, dass es zum Zeitpunkt der Verdeutlichung seiner strategischen Positionierung in die Störung der Weltordnung und ihr fremde Krisen hereingezogen würde.“

Dabei ging es ihm weniger um eine Distanzierung zu den USA als um die europäische Selbstbehauptung, wie zu Zeiten des Irak-Kriegs. Grund des Missmuts in Deutschland und den osteuropäischen Staaten, ist, dass dies just zum Zeitpunkt der entscheidenden amerikanischen Verteidigung der Ukraine geäußert wurde. Insgesamt geben die USA 26 % mehr als die EU in Gänze für die Verteidigung der Ukraine aus.

Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine sagte Scholz, die EU müsse jetzt die Weichen für den Wiederaufbau der Ukraine stellen: eine globale Herausforderung, die nur gemeinsam gemeistert werden kann und schon heute auf mindestens 50 Milliarden Euro geschätzt wird. Deutschland ist mit 7,2 Mrd. dritter Geldgeber nach den USA und UK. Frankreichs Unterstützung ist deutlich bescheidener: 1,5 Milliarden entsprechen dem schwedischen Beitrag und sind weniger als die Hälfte der Beiträge der bevölkerungsschwächeren Polen (40 Millionen) oder der Niederlande (18 Millionen). page1image59081472

Fakt aber ist, dass die Amerikaner immer noch deutlich mehr für die Verteidigung Europas ausgeben als wir selbst. Wir müssen hoffen, dass es bei einem ehemaligen und vermeintlich zukünftigen US-Präsidenten Trump so bleiben würde und in Kauf nehmen, dass die Amerikaner im Gegenzug auch Waffenbestellungen und Unterstützung ihrer Eigeninteressen einfordern.

Das Ziel sollte jedoch sein, dass wir langfristig eine europäische Verteidigungsindustrie ausbauen um uns selbstständig zu behaupten (mit entsprechenden Arbeitsplätzen und Forschung), was auf dem EU-Gipfeltreffen vom 29.-30. Juni im Mittelpunkt diskutiert werden sollte.

Seit 2014 (Krim) ist der Militärhaushalt in Deutschland zwar 2022 von 1,14 auf 1,51 % gestiegen, das Ziel der 2 % bleibt weiterhin weit verfehlt. In Frankreich ist es von 18,2 auf 18,9 % des BIP erhöht worden. Und während in Deutschland das Sondervermögen um die Erhöhung der Miltärausgaben der kommenden Jahre zu finanzieren in Höhe von 100 Milliarden zelebriert wird (davon sofort 35 Milliarden für den Kauf amerikanischer F-35 anstelle des europäischen/französischen Fliegers ausgegeben wurden), hat Frankreich sein Militärbudget für 2024-2030 um 40% auf über 400 Milliarden Euro erhöht. Auffällig ist, dass das deutsche Verteidigungsbudget mehr Ausgaben für die eigene Verwaltung enthält, als es in Frankreich der Fall ist (respektive 37 und 26 % der Gesamtausgaben).

Eine gemeinsame Energiepolitik ist genauso dringend um den Abbau der fossilen Energie und der Atommeiler und den Ausbau erneuerbaren Energien konzertiert voranzutreiben. Symbolhaft für die Wiedersprüche der europäischen Energieversorgung war der 15. April: in Deutschland wurden die drei letzten deutschen Atommeiler abgestellt (1998 waren 19 im Betrieb, die ein Drittel des deutschen Strombedarfs abdeckten); gleichzeitig wurde das größte europäische Atomkraftwerk Europas in Finnland in Betrieb genommen, ein Erfolg des deutsch-französischen Konsortiums Siemens-Areva, welches nun 30 % des finnischen Strombedarfs sichert.

Bei der letzten EU-Erhebung kam heraus, dass die europäischen Treibhausgase seit 2000 um knapp 30 % zurück- gegangen sind. Die Hälfte dieser Reduktion ist dem Energiesektor zu verdanken. Der Expertenrat hat immer wieder angemerkt, es werde zu wenig getan, vor allem in Verkehr und Industrie. Um die Klimaziele bis 2030 noch zu erreichen, müsste der Ausstoß im Verkehrssektor pro Jahr um den 14-fachen Wert reduziert werden. Und um in Deutschland bis 2030 80 % der Versorgung durch erneuerbare Energien zu erreichen, müssten tagtäglich 6 Windräder in Betrieb genommen werden. In Frankreich sind die CO2-Emissionen 2022 um 2,7 % gesenkt worden. Der jüngste Bericht des Haut Conseil pour le Climat (HCC), der von Macron vor 5 Jahren eingerichtet wurde, hebt hervor, dass nur im Gebäudebau die gesteckten Ziele (bei Reduzierung der Emissionen um 17 %) erreicht wurden. Im Verkehrswesen muss die Reduzierung verfünffacht werden. Der Extremhitze des Sommers 2022 entsprechend müsste die Stromerzeugung durch Windräder bis 2030 mehr als verdoppelt und ca. 30 Milliarden Euro mehr investiert werden.

Scholz betonte am 9. Mai ebenfalls, dass In einer multipolaren Welt die Länder des globalen Südens wichtige Partner seien. Dies gilt besonders in Fragen des Klimawandels und der Energieversorgung. Der afrikanische Kontinent ist am stärksten von der Erderwärmung betroffen, was sich durch wachsende „Klimamigration“ gen Norden ausdrücken wird. Andererseits verfügt der Kontinent über Sonne und Wind im Überfluss, der zur Energieversorgung des Nordens und entsprechenden Investitionen und Arbeitsplätzen vor.

Hoffentlich führt der Staatsbesuch zu der gewünschten Annäherung in der Frage der strategischen Positionierung Europas!

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Christophe Braouet