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Commentaires März 2023

Commentaires Nr. 28 

Frankfurt, 31. März 2023

Zusammen in die Zukunft schauen ist die Kernbotschaft des Elysée-Vertrags der vor 60 Jahren unterzeichnet und am 22. Januar im Elysée-Palast gefeiert wurde. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz gab es nur leise Töne. Emmanuel  Macron sprach zwar von Deutschland und Frankreich als „zwei Seelen in einer Brust“ und „Deutschland und Frankreich müssen jetzt die  Pioniere für eine Neugründung Europas werden, nachdem sie den Weg der Versöhnung freigeräumt haben“. Konkret kündigte er eine Erhöhung der Anzahl an Deutschlehrern an. Olaf Scholz stimmte seinerseits der von Macron vorgeschlagenen europäischen Souveränität, der Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und dem Einsatz der Deutsch-Französischen Brigade bei Manövern in Rumänien und Litauen zu. Warmen Worten müssen aber Taten folgen. Leider wurde die Lieferung von Leopard 2 Panzern an die Ukraine nicht im Elysée-Palast, sondern drei Tage später, alleine in Berlin angekündigt: das in Prag angekündigte „gemeinsam Führen“ Fehlanzeige. Es erinnert an den Alleingang des 200 Milliarden-Konjunkturprogramms, das einen Tag vor dem EU-Gipfeltreffen verkündet wurde, bei welchem über eurpäische Konjunkturhilfen diskutiert werden sollte (!). Auch fehlten  gemeinsame Vorschläge zur Verteidigung Europas, zum Ukraine-Konflikt, einem europäischen Industriefonds oder der Bankenunion.

Wie unterschiedlich beide Länder sind zeigt die in Frankreich nun verabschiedete Rentenreform. Der demografische Wandel macht eine Rentenreform sowohl in Deutschland als auch in Frankreich erforderlich. Die französischen Proteste gegen die Reform sorgen in Deutschland für Kopfschütteln, auch wenn sich die drei Koalitionspartner für die anstehende deutsche Reform noch auf einen Vorschlag einigen müssen.

Es besteht ein anderes Demokratieverständnis. In Frankreich wird mit der mangelnden Übereinstimmung zwischen parlamentarischer Mehrheit und Volkswillen gespielt. Demonstrationen werden von Gewerkschaften und der linken Parteienallianz NUPES als „dritter (sozialer) Wahlgang“ geriert. Die französische Revolution und Mai 68 werfen ihre Schatten. “Eine Regierung kann nicht gegen seine Bevölkerung entscheiden”, so der Generalsekretär der Gewerkschaft CFDT Laurent Berger. Eine Million Demonstranten -auch mehrere Male- ist zwar viel, aber bei weitem nicht die Mehrheit einer 68 Millionen starken Bevölkerung. Auch die Verwendung des Artikels 49.3 der Verfassung wird von denselben als nichtdemokratisch angeprangert: mit dem seit 1958 schon sehr oft angewendeten Artikel gilt ein Gesetz als verabschiedet, wenn sich im Parlament anlässlich eines Misstrauensvotums keine Mehrheit gegen das Gesetz bildet: nichts anderes als das französische Pendant zum deutschen konstruktiven Misstrauensvotum ist. Politisch sind viele Fragen offen. Besonders undemokratisch ist die Haltung der NUPES-Abgeordneten, die zuerst die Debatte durch Einbringung von 70.000 Änderungsvorschlähgen verhindert und dann im Parlament nach ihrem gescheiterten Misstrauensantrag Plakate „Wir treffen uns in der Straße“ hochgehalten haben; auch der Richtungsstreit der Republikaner ist intensiver denn je und könnte Marine Le Pen weiter stärken…

Auch Fakten wie der demografische Wandel und die Anpassung bestehender Rechte werden anders ausgelegt. Laut Meinungsumfrage sind 68 % der Franzosen gegen die Reform: sie sehen nicht ein, warum sie bestehende Vorteile aufgeben sollten. Der Politik muss vorgehalten werden, jahrzehntelang die (demografische) Wirklichkeit negiert und versprochen zu haben alles könne beim Alten bleiben. Dabei wird wissentlich vergessen, dass das französische Rentensystem 13,4 % des BIP im Vergleich zu durchschnittlich 7,7 % in der OECD -doppelt so viel -und 10,4 %  des BIPs in Deutschland kostet. Mit der Reform werden wesentliche Veränderungen durchgesetzt:

– um das Rentensystem zu finanzieren wird das Renteneintrittsalter bis 2032 für alle -auch die Beamten- von 62 auf 64 Jahre, die gearbeiteten Quartale für eine 100% Auszahlung von 167 auf 172 angehoben.

– Der Anteil der beschäftigten Senioren soll erhöht werden: In Frankreich arbeiten nur 33 % der 60 bis 64 Jährigen. Der EU Durchschnitt liegt bei 45 %, im schneller alternden Deutschland sind es 60,7%. 300 Tsd. mehr Senioren würden beschäftigt und die Steuereinnahmen entsprechend erhöht, was bei einem Staatsdefizit von 5 % unentbehrlich ist. Unternehmen mit mehr als 300 Beschäftigten werden mit der Veröffentlichung eines „Index der Senioren-Beschäftigten“ in die Pflicht genommen.

– Die meisten Sonderregelungen werden abgeschafft wie es schon 2018 für die SNCF beschlossen wurde. Derzeit verfügt eine Minderheit von ca. 4,7 Millionen Beschäftigte über 37 Sonder-Rentensysteme. Ein Zugfahrer der SNCF geht heute durchschnittlich mit 54, einer der RATP mit 56 Jahren in Rente.  Ab 2023 werden alle neu-eingestellten Mitarbeiter der Energie- und Transportbranche (also EDF, Engie, RATP…) und der Banque de France ins allgemeingültige System einzahlen. Es bleiben nur wenige Ausnahmen: Freiberufler, die Angestellten der Seefahrt sowie der Pariser Oper (!)

Bei der Unterstützung der Ukraine muss für Deutschland eine Lance gebrochen werden. Deutschland steht auf Platz drei der Unterstützer mit großem Abstand zu Frankreich. China und Indien unterstützen übrigens gar nicht und die USA leisten mit Abstand am meisten für die europäische Sicherheit!

  Insgesamt Finanziell Humanitär Militär
USA 73,2 25,1 3,7 44,3
Europa insgesamt 49,8 32,5 6,4 11,8
EU 29,9 28,3 1,6
Deutschland 6,2 1,3 2,5 2,4
Frankreich 1,7 0,7 0,3 0,7
Polen 3,6 1,0 0,2 2,4
UK 8,3 3,0 0,4 4,9

Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support tracker, Daten per 21. Februar 2023                                 

Bei der Bekämpfung von Corona hier der letzte Vergleich, weil Johns Hopkins nach fast 7 Millionen Corona-Opfern am 10. März die Datensammlung eingestellt hat: Deutschland bleibt (noch?) am erfolgreichsten:

  Frankreich Deutsch

land

Italien Spanien UK USA
Fälle 31.12.22

(*)

39.498.188

(+11,1%)

37.369.865

(+12,2%)

25.143.705

(+12,1 %)

13.684.258

(+2,0%)

24.365.688

(2,0 %)

100.743.442

(+4,6 %)

10.03.2023 +368.530

(+0,9 %)

+879.195

(+2,4 %)

+459.805

(+ 1,8 %)

+ 86.171

(+0,6 %)

+293.017

(+1,2 %)

+3.060.826

(+ 3,0 %)

Todesfälle31.12. (*) 163.003

(+4,4 %)

161.465

(+7,7 %)

184.642

(+4,3 %)

117.095

(+2,6 %)

213.997

(+2,9 %)

1.092.661

(+3,2 %)

10. 03. 2023 + 3.173

(+ 1,9 %)

+ 7.470

(+4,6 %)

+ 3.680

(+ 2,0 %)

+ 2.384

(+ 2,0 %)

 

+ 6.724

(+ 3,1 %)

 

+ 31.1605

(+ 2,9 %)

 

Pro Mio. 2.517 2.011 3.125 2.557 3.021 3.427
Impfungen  (%

Erst-

Zweitimpfung

der Bevölkerung)

80,6 %

78, 4 %

 

77,8 %

76,2 %

 

86,2 %

81,3 %

 

86,9 %

85,6 %

 

79,7 %

75,2 %

 

81,1 %

69,3 %

Quellen : Johns Hopkins Corona Resource Center (https://coronavirus.jhu.edu/map.html https://coronavirus.jhu.edu/map.html) & Oxford University

(https://ourworldindata.org/coronavirus)(*) % im Vergleich zum 30.09.2022

Für Hoffnung werden in den kommenden Wochen zwei gemeinsame Erfolge sorgen. Am 30. Mai weihen Emmanuel Macron und Olaf Scholz in Douvrain bei Lens eine Giga-Factory für die Herstellung von Batterien ein. Das deutsch-französische Joint-Venture „Automotive Cells Company“ (ACC) wurde 2020 gegründet und wird zu gleichen Teilen von Stellantis, Mercedes und TotalEnergies gehalten. Bis 2030 sollen Batterien für 500.000 Elektrofahrzeuge pro Jahr -einem europäischen Marktanteil von 20 %- hergestellt und über 4000 Arbeitsplätze gesichert werden. Der asiatische Konzern AESC wird eine weitere Giga-Factory in Douai, eine französische Start-Up Verkor eine weitere in Dünkirchen bis 2025 bauen. Der französische Norden entwickelt sich zum Zentrum für die europäische Batterie-Herstellung. Am 3. Juli folgt der Festakt in Ludwigsburg anlässlich des 60. Jubiläums der Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW). Über 8 Millionen deutsche und französische SchülerInnen konnten in diesem Rahmen das Nachbarland entdecken und schätzen lernen.

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Christophe Braouet