Commentaires März 2025
Commentaires Nr. 36
Frankfurt, 31. März 2025
Was für ein Jahresbeginn: Marine Le Pen wurde gerade zu fünf Jahren Nichtwählbarkeit verurteilt, in Deutschland wurde ein neuer Bundestag gewählt, Erdogan macht die Opposition mundtot und Trump bringt die Weltordnung durcheinander. Jetzt regieren Macht und Geld: Alles ist Erpressung, um einen „Deal“ durchzusetzen, wie es Trump und JD Vance mit der Demütigung von Selenskyj im Weißen Haus oder dem Zollkrieg zeigen. Der neue amerikanische Imperialismus kommt im Willen Grönland einzuverleiben zum Ausdruck oder im Schreiben der US-Botschaft in Paris vom 28. März, mit welchem französische Industriekonzerne aufgefordert werden, binnen fünf Tagen (!) Stellung zu nehmen, ob sie Trumps Präsidialerlass befolgen, der jegliche positive Diskriminierung verbietet! Ein Übel für ein Gutes: Europa brauchte dies, um sein Gesellschaftsmodell, seine Arbeitsplätze und seine Verteidigung zu behaupten.
Das Spiel um Einfluss endet hier nicht. Giorgia Meloni war die erste der europäischen Regierungschefs, die im Weißen Haus empfangen wurde und Elon Musk unterstützte ausdrücklich die AfD bei den Bundestagswahlen. Diese zog mit dem Rassemblement National fast gleich: 21 % zu 23 % für die Partei von Marine Le Pen im ersten Wahlgang 2024. Der pro-russische Charakter der extremen Rechten ist dabei besonders besorgnis-erregend, und das zu einer Zeit, in der Trump mit Putin gemeinsame Sache zu machen scheint.
Die Bedrohung ist also sowohl extern als auch intern. Die Waffe, die ihnen gemein ist, ist der disruptive Ansatz ihrl…….er „fake news“. Wie Hannah Arendt in „Wahrheit und Politik“ feststellte: „«Diese ständige Lüge zielt nicht darauf ab, die Menschen eine Lüge glauben zu lassen, sondern darauf, dass niemand mehr irgendetwas glaubt. Ein Volk, das nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann, kann auch nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden. Und ein solches Volk, dem die Fähigkeit zu denken und zu urteilen genommen wurde, ist, ohne es zu wissen und zu wollen, vollständig der Herrschaft der Lüge unterworfen. Mit einem solchen Volk kann man machen, was man will.»
Aus diesem Grund spricht Friedrich Merz, der wahrscheinlich zukünftige Bundeskanzler, wie Emmanuel Macron von einer letzten Chance vor einem Sieg der extremen Rechten. Dies könnte sie noch näher zusammenbringen. Beide sind überzeugte Europäer, wollen das Weimarer Dreieck reaktivieren und Europa auf der internationalen Bühne behaupten. Es gibt gute Gründe zu hoffen, dass das deutsch-französische Tandem wieder eine führende Rolle in Europa spielen wird.
Während die Regierung von François Bayrou vom Wohlwollen der Extremen in der Nationalversammlung abhängt, reagiert Deutschland, das anders als Frankreich über den entsprechenden Handlungsspielraum verfügt, mit einem historischen Kurswechsel. Es kehrt der jahrzehntelangen finanzpolitischen Orthodoxie den Rücken (Grund der mittellosen Armee und maroden Infrastruktur). Ein Beispiel: 8000 Autobahnbrücken sind zu sanieren oder gar neu zu bauen. Das Parlament stimmte mit einer Zweidrittelmehrheit (!) einer Änderung der Schuldenbremse und der Aufnahme von Krediten in Höhe von 900 Milliarden Euro zu: 500 Mrd. für die Infrastruktur (davon 100 Mrd., für Umweltprojekte) und 400 Milliarden für die Stärkung der Verteidigung. Deutschland könnte so wieder zur Wirtschaftslokomotive Europas werden.
Europa ist nicht untätig. Die Staats- und Regierungschefs trafen sich am 27. März 2025 in Paris, um den von der Kommission vorgelegten Plan „Rearm Europe -Readiness 2030“ zu erörtern. Er umfasst ein neues Instrument namens SAFE (Security Action for Europe), das mit 150 Milliarden Euro ausgestattet ist und zur Finanzierung langfristiger, zinsgünstiger Kredite an die Mitgliedstaaten von Waffensystemen dienen soll, „sofern sie einer europäischen Präferenz entsprechen“. Bei „einfachen“ Waffen müssen mindestens 65% der Komponenten aus Europa stammen. Bei „komplexen Systemen“ muss die „Entwurfsbehörde“ europäisch sein.
Eine autonome europäische Verteidigung ist notwendiger denn je. René Obermann, Verwaltungsratsvor-sitzender von Airbus, behauptete in einem Interview im Handelsblatt, dass sich die Hinweise auf die Vorbereitung eines russischen Angriffs auf die NATO verdichten und dass ein Konflikt noch vor 2029 stattfinden könnte, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits vor einem Jahr. Es ist höchste Zeit, unser „Mindset“ zu ändern. Bis 2024 haben Frankreich und Deutschland ihre Truppen um die Hälfte reduziert; die USA haben sie nur um 20 % reduziert. Wir haben die Zahl der gepanzerten Fahrzeuge von 25.000 auf unter 10.000 reduziert, die Zahl der Kampfpanzer von 13.000 auf unter 1.000 und die Luftabwehrwaffen von 1300 auf unter 300.
Wir sind dazu in der Lage. Der Raketenhersteller MBDA, der sich im gemeinsamen Besitz von Airbus (37,5 %), der britischen BAE (37,5 %) und der italienischen Leonardo (25 %) befindet, zeigt alle Vorteile eines integrierten europäischen Ansatzes: Er hat gerade einen Fünfjahresplan für Investitionen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bestätigt, die sich auf alle Produktionsstätten in Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland verteilen: Ende 2025 wird MBDA 19.000 Mitarbeiter beschäftigen, 50 % mehr als vor fünf Jahren. Der MBDA-Chef betont, dass das europäische Unternehmen in der Lage ist die gesamte Palette komplexer Waffen zu liefern, die für alle Armeen benötigt werden. CEO Éric Béranger fügte hinzu: „Wir haben den Tiefenschlag mit Scalp und Storm Shadow sowie dem Marinemarschflugkörper (MdCN); wir decken den gesamten mittleren Sektor mit den Raketen Aster, Mica, Camm, Exocet, Teseo ab; und wir haben die Kurzstrecken Mistral, Akeron, Enforce. Mit anderen Worten: Wir können alles zu Hause machen, ohne auf amerikanische Komponenten zurückgreifen zu müssen. Wir können uns mit den Patriot-Raketen auf Augenhöhe positionieren“ (Les Échos 17. März 2025).
Die Verteidigung der Ukraine -im Herzen Europas- ist gerade dann notwendig, wenn die USA Zweifel säen und sogar so weit gehen, die vertragliche Solidarität innerhalb der NATO in Frage zu stellen. Eines der Themen, die auf dem Gipfeltreffen in Paris am 27. März besprochen wurden, war die Entsendung einer „Rückversicherungs-truppe“ in die Ukraine, angeführt von Frankreich und Großbritannien, um einen möglichen Waffenstillstand zu verteidigen. Dänemark und die baltischen Staaten möchten sich daran beteiligen. Deutschland zögert. Ebenso wesentlich ist es, die Finanzierung der ukrainischen Rüstung zu sichern: Deutschland hat seine Beitragszusage um 3 Milliarden erhöht. Frankreich um 2 Milliarden und bleibt weit unter der deutschen Hilfe.
Ukraine-Hilfe Zusagen (in Klammern ausgezahlte Beträge; Zahlen in Mrd. Euro)
Insgesamt | Finanziell | Humanitär | Militär | |
USA | 119,0
(114,2) |
50,0
(46,6) |
3,4
(3,4) |
65,6
(64,1) |
UK | 27,2 | 6,2 | 0,9 | 20,1 |
EU insgesamt | 202,3
(112,8) |
119,6
(52,2) |
11,7
(10,9) |
71
(49,8) |
EU | 115,6 | 113,1 | 2,6 | – |
Deutschland | 25,5 | 1,4 | 3,2 | 20,9 |
Frankreich | 7,5 | 0,8 | 0,6 | 6,1 |
Polen | 5,0 | 0,9 | 0,5 | 3,6 |
Niederlande | 10,9 | 1,1 | 1,1 | 8,7 |
Dänemark | 9,4 | 0,1 | 0,3 | 9,0 |
Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 31. Dezember 2024
Europa hat die USA bei der Finanzhilfe längst überholt, seit kurzem auch bei den Zusagen für Militärhilfen. Der EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius hat Recht, wenn er sagt: „450 Millionen Bürger der Europäischen Union sollten sich nicht auf 340 Millionen Amerikaner verlassen müssen, um sich gegen 140 Millionen Russen zu verteidigen, die 38 Millionen Ukrainer nicht besiegen können“.
Christophe Braouet