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Commentaires September 2023

Commentaires Nr. 30 

Frankfurt, 30. September 2023

 

Dass Politik mit langfristigen Zielen arbeiten sollte zeigen die drei letzten Monate. Es gilt für die deutsch-französischen Beziehungen, wie für das Verhältnis zu Russland und den USA.

Am 5. September titelte der Spiegel „ Frankreich, das bessere Deutschland. Und hob hervor: „Präsident Macron ist unpopulär, aber erfolgreich. Seine Reformen haben jenen Aufschwung gebracht, der hierzulande schmerzlich vermisst wird.“ Betont wurde die Wachstumsschwäche: Deutschland ist das einzige G7 Land in Rezession, aufgrund innen- wie außenpolitischer Aspekte.

Die mangelhafte Infrastruktur (Schienennetz, Digitalisierung usw.…),  der fast doppelt so hohe Strompreis wie in Frankreich (respektive 26 und 15 cts pro KWh) sind das Ergebnis politischer Entscheidungen der letzten fünfzehn Jahre. Frankreich hingegen ist seit drei Jahren europäischer Spitzenreiter für ausländische Investitionen, Investoren werden vom Präsidenten im Rahmen des Unternehmengipfels „Choose France“ persönlich willkommen. Und die demografische Entwicklung schützt Frankreich deutlich besser als Deutschland vor dem Fachkräftemangel. „The Economist“ fragte sich am 19. August erneut auf der Titelseite, ob Deutschland nicht wieder zum kranken Mann Europas geworden sei- wie schon 1999. Damals folgte die „Agenda 2010“; Deutschland wurde zum Musterschüler und zeigt welche Entwicklungen möglich sind, wenn Politik Mut zeigt.

Und nun? Deutschland leidet wie Frankreich an der Zersplitterung seines politischen Systems und es kommt eine Regierung zustande, die sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann. So auch für Emmanuel Macron den nur knapp 28 % der Franzosen im ersten Wahlgang wählten. Bei den Parlamentswahlen verlor er die parlamentarische Mehrheit und muss seitdem für jedes Vorhaben neue Mehrheiten schmieden. Große Schritte werden unwahrscheinlich und in beiden Ländern profitiert die minimalistische Politik den Rechtsradikalen Bewegungen. In 15 der 27 EU-Staaten liegen Rechtsradikale nun über 20 %. Sie alle arbeiten daraufhin bei den Europawahlen 2024 zweitstärkste politische Kraft zu werden.

Drei Monate ist die Absage des ersten Staatsbesuch eines französischen Staatspräsidenten seit 23 Jahren her: Emmanuel Macron befürchtete eine neue Krise der „Banlieues“. Der Staatsbesuch sollte den deutsch-französischen Beziehungen einen neuen Schwung geben. Wie bitter nötig dies ist zeigen die vor über 30 Jahren ins Leben gerufenen Evian-Gespräche, bei welchen sich die Vorsitzenden der größten Konzerne beider Länder mit den politischen Entscheidern informell austauschen können. 2022 war Olaf Scholz noch Ehrengast. Aber er frustrierte die Teilnehmer, in dem er lange über Deutschland, kurz über Frankreich und gar nicht über das deutsch-französische Verhältnis sprach. Dieses Jahr nahm kein einziger Vertreter der deutschen Regierung teil. Die deutschen Unternehmen empfanden, dass Bruno Le Maire, der französische Wirtschafts-und Finanzminister eine gewisse Schadensfreude zeigen würde, weil es der französischen Wirtschaft besser als der deutschen geht.

Durch Nichthandeln wird kein Problem gelöst. Ganz im Gegenteil. Dadurch werden auf internationaler Bühne Wettbewerber aus den USA und China, und national die rechtsradikalen Kräfte gestärkt. Seit Jahrzehnten wird immer wieder betont, dass einzelne europäische Staaten zu klein sind, um sich international zu behaupten. Es ist also höchste Zeit unsere Interessensvertretung auf europäischer Ebene stärker zu bündeln und hierzu den Schulterschluss mit Frankreich umzusetzen, über die ritualisierten Freundschaftsbekundungen hinaus konkret. Es ist sogar erforderlich zu Zeiten in welchen  die Wiederwahl eines Donald Trumps möglich ist: er würde  seine „America First-Politik“ kompromisslos vorantreiben. Ukraine hin oder her.

Nur gemeinsam zu regeln sind Themen wie die Energie- und Umweltpolitik, die Zuwanderung bzw. Asylpolitik und die Verteidigung Europas .

In Fragen der Migrationspolitik führt uns die kleine italienische Insel Lampedusa, nur 180 Kilometer von Tunesien entfernt, die europäischer Machtlosigkeit vor Augen. Seit Jahresbeginn sind über 130 Tausend Flüchtlinge in Italien angekommen, deren ultimatives Ziel v.a. Deutschland vielmehr als Italien ist. Deshalb müssen die EU- Staaten Solidarität zeigen. Da ist ein Finanzpaket für Tunesien (in Höhe von 600 Millionen Euro) zu kurz gedacht. Es ist lediglich eine Wiederholung der Praxis mit der Türkei und erhöht unsere Abhängigkeit von  „nicht lupenreinen-Demokraten“. Es müssen langfristige Lösungen gefunden werden, welche die Afrika- Abwanderung überflüssig machen, i.e. Arbeitsplätze in den Herkunftsländern fördern. Der afrikanische Kontinent wird derzeit eher Opfer des Klimawandels beschrieben. Dabei wird er ein wesentlicher Baustein bei den Lösungen sein. Europa hat Interesse an der dortigen Herstellung von erneuerbaren Energien, bis hin zum Wasserstoff.

Ein Element einer solchen gemeinsamen Energiepolitik wird ab dem 1. Oktober umgesetzt. Die CO2-Belastungen von energieintensiven Produkten wie Stahl oder Aluminium  müssen bei außereuropäischen Importen gemeldet werden. Dies wird die Grundlage für die ab 1. Januar 2026 anfallende  CO2 Steuer, eine wesentliche Maßnahme des europäischen „Green Deals“. Aufgrund des niedrigen Schwellenwerts von 350 Euro müssen ca.  hunderttausend europäische Unternehmen eine solche Meldung vornehmen. Offen bleibt ein Energiemix auf welchen sich die Europäer verständigen. So meint z.B . Agnes Pannier-Runacher, die  für die  Energiewende zuständige französische Ministerin, anlässlich der Eröffnung der Internationalen Konferenz über Atomenergie. dass eine Verdreifachung des Atomstroms erforderlich sei um die CO2 Neutralität bis 2050 zu ermöglichen.

Wenig wird über die Auswirkungen der Energiewende auf den sozialen Zusammenhalt diskutiert. Dabei sind die  neuen Herausforderungen derElektromobilität, der Gebäudesanierung zusätzliche Ausgrenzungsfaktoren, weil die damit verbundenen Kosten gerade für Sozialschwache kaum bzw. nicht zu leisten sind. Diese soziale Herausforderung lag schon die Bewegung der „Gilets jaunes“ zu Grunde.

 

Für die  europäische Sicherheit gibt die provisorische Verabschiedung des US-Haushalts zu denken:  Die Vermeidung der amerikanischen Zahlungsunfähigkeit war zunächst- bis Mitte November-   nur mit der Suspendierung der Hilfen an die Ukraine möglich – aufgrund radikaler Republikaner. Dabei ist die Verteidigung der Ukraine derzeit ohne die USA, von denen über 50 % der Militärkosten kommen, unmöglich,.

 

Ukraine-Hilfe (Zahlen in Mrd. Euro)

  Insgesamt Finanziell Humanitär Militär
USA 69,5 23,9 3,5 42,1
UK 13,8 6,6 0,6 6,6
EU insgesamt 131,9 83,4 8,2 40,3
EU 84,8 77,1 2,1 5,6
Deutschland 20,9 1,3 2,4 17,1
Frankreich 1,7 0,8 0,4 0,5
Polen 4,3 0,9 0,4 3,0

Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 30.September 2023

Es ist also unentbehrlich, dass die EU-Staaten der notwendige finanzielle Spielraum für Zusatzausgaben z.B. für die europäische Verteidigung und/oder die Energiewende schaffen-allen voran Frankreich (und Italien),- Und dies obwohl die französische Zinslast sich bis 2027 auf 74 Milliarden Euro verdoppeln wird (!)

 

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Christophe Braouet