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Commentaires Septembre 2024

Commentaires Nr. 34

Frankfurt, 30. September 2024

War das nicht eine schöne Sommerpause? Auf die Fußball-EM folgte das „französische Sommermärchen“ der Olympischen Spiele. Einhellig wurde die Eröffnungsfeier gelobt: Mut und Kreativität vor der Kulisse der französischen Hauptstadt läuteten zwei Wochen bester Laune ein: das Wall Street Journal brachte es am 4. August mit dem Titel “ The biggest surprise of the Paris Olympics: even the French have nothing to complain about” (Die größte Überraschung der Pariser Olympischen Spiele: sogar die Franzosen haben nichts zu beklagen) auf den Punkt. Ein großer Dank geht an das französische Fernsehen für die Regie und dem Innenministerium für die gebotene Sicherheit: im Nachhinein erfuhren wir, dass mindestens drei Attentate vereitelt wurden. Dem Sport ist gelungen zu vereinen, während die Politik immer stärker spaltet.

Die Spaltung ist bei den französischen Parlamentswahlen und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ähnlich deutlich geworden. Die Regierungsparteien sind abgeschlagen: keine 30 % für das Macron- Lager in Frankreich; 13 % für die drei Koalitionsparteien in Sachsen und nur 10 % in Thüringen. Die 30 % der SPD in Brandenburg sind der persönliche Erfolg des amtierenden Ministerpräsidenten Woidke, der die Teilnahme des Bundeskanzlers Scholz und sonstiger SPD-Granden aus Berlin verweigert hatte. [1]

 

In den jeweiligen Parlamenten koexistieren drei nicht vereinbare politische Blöcke. Problematisch dabei ist, dass linke und rechte Populisten zusammen mit über 40 % der Abgeordneten die Parteien der Mitte vor sich hertreiben. In Frankreich z.B. hat die Regierung zwar eine relative Mehrheit von 212 Abgeordneten: es fehlen allerdings 77 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Das einzige Trost ist, dass Die Wahlbeteiligung hoch war: über 70 % in Deutschland, nahezu 67 % in Frankreich und dass Frankreich und die neuen Bundesländer nicht mehrheitlich rechts- noch linksradikal sind.

Auch inhaltlich gibt es Übereinstimmungen. Zuwanderung und die (innere) Sicherheit gehören zu den zentralen Themen. Schon 1989 -also vor 35 Jahren- sagte der sozialistische (!) Premier Minister Michel Rocard in einem Fernseh-Interview, dass Frankreich nicht das gesamte Elend der Welt aufnehmen kann. (Sept sur Sept 3.12.1989 « la France ne peut pas accueillir toute la misère du monde »). Und Helmut Schmidt sagte 2004 „es sei ein Fehler, dass wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land holten.“ Kein Wunder, dass alle Parteien in Frankreich, wie in Deutschland, sich mit Vorschlägen zum Einwanderungsstopp übertreffen, dem europäischen Schengen-Raum zum Trotz. Auch die soziale Ungerechtigkeit steht im Mittelpunkt. Dabei ist das verfügbare Einkommen in Frankreich um 5,7 % im Vergleich zu nur 1,4 % in Deutschland gewachsen. Die ca. 860.000 geschaffenen Arbeitsplätze, die Abschaffung der Gebäude- und Rundfunksteuer (taxe d’habitation, redevance audiovisuelle) und die massiven finanziellen Stützen zur Abfederung von Corona zeigen ihre Wirkung. Und in Deutschland ist Brandenburg stärker gewachsen als der Rest der Republik, und das sächsische BIP ist seit 2010 wie der deutsche Durchschnitt gewachsen

Vor dieser Kulisse ist die Regierungsbildung in Frankreich wie in den neuen Bundesländern besonders schwierig. Emmanuel Macrons erste Wahl war den Sozialisten Bernard Cazeneuve, den letzten Premier Minister von François Hollande zu ernennen. Dies wurde vom Parteichef der Sozialisten (!) Olivier Faure torpediert: er befürchtet die Aufspaltung der heterogenen Neuen Volksfront und bleibt lieber im Schlepptau der nur 71 linksradikalen Abgeordneten des LFI (Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon.

So von der Regierungsbildung entfernt zu werden beflügelt die französischen „Sozialdemokraten“. Der Begriff ist dort in der Politik neu: so bezeichnet sich Raphaël Glucksmann, der als Spitzenkandidat der Sozialisten bei den Europawahlen mit 14 % der Stimmen erhielt, nach der krachenden Niederlage der Pariser Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo 2022 bei den Präsidentschaftswahlen, die nur 1,7 % erhielt. Glucksmann, Cazeneuve und Karim Bouamrane, der mit Olympia populär gewordene Bürgermeister von Saint-Ouen, trafen sich auf Einladung von Carole Delga, Präsidentin der Region Okzitanien, um sich über die Präsidentschaftswahlen 2027 auszutauschen.

Nun ist die Regierung also konservativ. Michel Barnier ist ein pro-europäischer Gaullist: er hat sein Geschick und seine Geduld bei den Brexit-Verhandlungen bewiesen. 9 der 19 zentralen Ressorts der Regierung gehören dem „Ensemble“-Lager an und 4 den Républicains. Die Regierung will sich bodenständig zeigen: weniger Paris (lediglich vier sind aus der Hauptstadt), weniger Elite-Schulabsolventen (13 der Minister der Regierung Barnier haben einen Abschluss einer öffentlichen Universität)

Das Haushaltsgesetz für 2025 muss bis zum 1. Oktober durch die Nationalversammlung gebracht werden. Die Oppositionsparteien drohen mit Misstrauensvoten, müssten sich jedoch auf einen Text einigen, um die Regierung Barnier zu Fall zu bringen. Solange die „Sozialdemokraten“ die Regierung nicht unterstützen, wird die Duldung durch Marine Le Pen gesucht. Für diese Orientierung steht der neue Innenminister Bruno Retailleau, der dem rechtskonservativen Flügel der Républicains angehört: er fordert härtere Regeln für die Ausweisungspolitik sowie für den Familiennachzug

Und noch einen Wunsch äußern die Populisten beider Länder: die Ukraine-Hilfe soll gekappt werden, sind sie, bzw. wurden sie doch durch Putin finanziert. Sie plädieren für das Kriegsende, erhöhen den Druck auf alle Parteien, um die Ausgaben für den Krieg zu reduzieren. Mit Erfolg: SPD und FDP haben die Mittel zur Unterstützung der Ukraine im Bundeshaushalt für 2025 halbiert, sehr zum Verdruss des Verteidigungsministers Pistorius.

Dabei zählen Deutschland und Frankreich schon jetzt zu den Schlusslichtern der Zahler in Europa: in % des BIP zahlen sie 0,4 und 0,3 %. Ganz vorne ist Dänemark mit 1,8 %

Ukraine-Hilfe (Zahlen in Mrd. Euro)

Insgesamt Finanziell Humanitär Militär
USA 75,1 20,9 2,6 51,6
UK 13,1 3,3 0,8 8,9
EU insgesamt 93,4 43,5 9,0 41,0
EU 39,4 37,0 2,3
Deutschland 14,7 1,4 3,1 10,2
Frankreich 4,4 0,8 0,6 3,0
Polen 4,3 0,9 0,4 3,0
Niederlande 5,7 0,7 0,6 4,4
Dänemark 6,8 0,1 0,3 6,4

 

Quelle: Kieler Institut für Weltwirtschaft, Ukraine support Tracker, Daten per 30. Juni 2024 (letzte Aktualisierung am 6. August 2024)

Putin will die Ukraine unbewohnbar machen: er zerstört Krankenhäuser, Schulen und die energetische Infrastruktur, um den Winter unerträglich zu machen. Mit der möglichen Widerwahl von Trump im Hinterkopf muss die Ukraine stärker unterstützt werden. Wir können ihn nicht walten lassen.

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Christophe Braouet

[1] Brandenburg: Beteiligung 72,9 %, SPD 30,9 % AfD 29,2 %, BSW 13,5 %, CDU 12,1 % Grüne 4,1 %, Die Linke 3 %, Tierschutz 1%, FDP 0,8 %

Sachsen: Beteiligung 74,4 %, CDU 31,9 % AfD 30,6 %, BSW 11,8 %, SPD 7,3 %, Grüne 5,1 %, Die Linke 4,5 %, Tierschutz 1%, FDP 0,9 %

Thüringen: Beteiligung 73,6 %, AfD 32,8 %, CDU 23,6 %, BSW 15, 8%, Die Linke 13,1 %, SPD 6,1 %, Grüne 3,2 %, FDP 1,1 %, Tierschutz 1%

Frankreich: Beteiligung 66,6 % RN 32,1 %, NFP 25,7 %, Ensemble 23,1 %, LR 5,4 %, Centre, Divers droite et Horizon 5,2%