Commentaires Juli 2020
Liebe Freunde und Mitglieder der Deutsch-Französischen Gesellschaft,
Deutschland übernimmt am 1. Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft unter der Überschrift „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“: Dies soll die Krönung der Amtszeit von Angela Merkel werden, sofern der mehrjährige Finanzrahmen 2021-2027 die „grüne und digitale Neuausrichtung“ der EU wirklich ermöglicht. Auch die Umsetzung des Solidaritätspakts und möglicherweise eine neue Nord-Süd-Politik im Anschluss an den EU-Afrika-Gipfel im Oktober sollten dafür stattfinden. Frankreich übernimmt relativ kurz danach die Ratspräsidentschaft zum 1. Januar 2022. Der politische Kalender könnte kaum günstiger sein um die deutsch-französische Initiative umzusetzen!
Unmittelbar ist die EU jetzt mit der Lockerung beschäftigt und versucht einer zweiten Welle und einer beschleunigten Erhöhung der Arbeitslosigkeit im September vorzubeugen. Die relative Stabilität der Neuinfektionen und Corona-bedingten Todesfälle (mit der nennenswerten Ausnahme der USA) haben die Lockerungsmaßnahmen gerechtfertigt. Seitdem sind erste neue Infektionsherde entfacht, bleiben jedoch geografisch begrenzt.
Frankreich | Deutschland | USA | Italien | Spanien | |
InfektionsfälleZum 30. Mai | 186.924 | 183.025 | 1.747.087 | 232.248 | 238.564 |
30. Juni | 201.522 | 195.042 | 2.590.582 | 240.436 | 248.970 |
Genesene30. Mai | 67.921 | 164.245 | 406.446 | 152.844 | 150.376 |
30. Juni | 76.124 | 177.700 | 705.203 | 189.196 | 150.376 |
Todesfälle30. Juni | 29.816 | 8.976 | 126.141 | 34.744 | 28.346 |
Pro 100.000 Einwohner | 44,46 | 10,81 | 38,45 | 57,48 | 60,66 |
Testanzahl pro Million Einwohner |
21.213 | 64.603 | 100.271 | 88.351 | 110.425 |
Quellen: Johns Hopkins Corona Resource Center (30. Mai und 29. Juni 2020); Tests: Statista 23. Juni
Corona hat einen gravierenden Impakt auf unsere Wirtschaft und erhöht die europäische Nord-Süd-Spreizung: Die OECD rechnet im laufenden Jahr mit einer Rezession von 6,6 % für Deutschland und einem Aufschwung von 5,8 % in 2021; die Rezession dürfte in Frankreich mit 14,1 % deutlich gravierender ausfallen: 2021 sollte das Wachstum dann nur leicht höher ausfallen (7,7 %)…vorbehaltlich, dass es nicht zu einer zweiten Welle kommt!
Es wird eine deutliche Erhöhung der Konkurse (gemäß Coface +20 % in Frankreich, + 12 % in Deutschland) und der Arbeitslosigkeit befürchtet, bedingt durch das Auslaufen der Kurzarbeitsmaßnahmen (10 Millionen in Deutschland, 6,6 Millionen in Frankreich) und des Eintritts des neuen Jahrgangs auf den Arbeitsmarkt. Zahlreiche Sparten wie die Tourismus-Branche, die Gastronomie, Veranstaltungen, die Luftfahrt- oder die Automobilindustrie, müssen ihre Kosten senken, auch beim Personal.
Deutschland und Frankreich reagieren schneller als 2008 und haben ihre Konjunkturprogramme bereits verabschiedet und hoffen so einen „V“-Aufschwung nach dem katastrophalen 2. Quartal 2020 zu ermöglichen.
Die Wirtschafts-und Finanzkraft der einzelnen EU-Staaten drückt sich im Volumen ihrer Konjunkturprogramme aus, und spreizt das Nord-Süd-Gefälle deutlich. Nach Berechnungen des Brueghel Instituts beträgt das deutsche Programm 450 Milliarden € an Steuerimpulsen (ca. 13 % des BIP!) und „nur“ ca. 100 Milliarden € in Frankreich (ca. 4 % des BIP). Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Hilfen für Klein- und Mittelstand stehen im Mittelpunkt. Ebenso sollen kurzfristig die Gehälter im Gesundheits-und Pflegebereich mit 6 Milliarden € in Deutschland wie in Frankreich deutlich aufgewertet werden. Beide setzen auch auf die Zukunft ihrer Automobilbranche.
Anders als in Frankreich senkt Deutschland temporär die Mehrwertsteuer (Kosten in Höhe von ca. 20 Mrd. €) und teilt einmalig 300 € pro Kind zu: Die Nachfrage soll gestützt und die Verschuldung der Unternehmen geschont werden. Frankreich fehlen diese Haushaltsspielräume und konzentriert sich mehr auf öffentlich garantierte Kredite: Anfang Juni 2020 hatten französische Banken 93 Mrd. € staatsgarantierte Darlehen vergeben, 3,5 mal mehr als deutsche Banken (28 Mrd.), das Vierfache des italienischen Volumens (22,4 Mrd.).
Gleichzeitig wird in Europa mit dem „Green Deal“ das Ziel eines nachhaltigen Wachstums verfolgt. Emmanuel Macron hat seinerseits die 150 ausgelosten Bürger der Convention citoyenne pour le climat im Elysée-Palast empfangen: Ihre 150 vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von einer Verankerung des nachhaltigen Wachstums in der Verfassung bis zur strafrechtlichen Verfolgung von Ökoverbrechen, der Förderung der „sauberen Mobilität„ (durch Senkung der MwSt. für Bahn-Tickets, Pönalien für Fahrzeuge mit hohen Schadstoff-Emissionen und Prämien für saubere Fahrzeuge), der Pflicht, Gebäude energetisch zu sanieren und der Förderung von Flächenneuinanspruchnahmen. Lediglich die Reduzierung der Geschwindigkeit von derzeit 130 auf 110 Stundenkilometern auf Autobahnen und eine weitere Besteuerung der Dividenden wurden nicht akzeptiert, weil sie schädlich für Investitionen sind, insbesondere aus dem Ausland.
Corona ist auch für den um 3 Monate verspäteten zweiten Kommunalwahlgang am 28. Juni verantwortlich. Fünf wesentliche Ergebnisse sind:
- Die Parteienlandschaft bleibt instabil : 60 % Stimmenenthaltungen und der bemerkenswerte Erfolg der Grünen zeigen die immer noch bestehende Volatilität des Wahl-verhaltens, die gefährlich werden könnte, wenn die Extremen davon profitieren würden. Die traditionellen Parteien vereinen nach wie vor weniger als 30 % der Stimmen zu Gunsten des überzeugenden Neuankömmlings: ehemals Emmanuel Macron und nun die Grünen.
- In diesem Kontext wurden starke (lokale) Persönlichkeiten problemlos wiedergewählt, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, wie es z.B. die Wiederwahlen der republikanischen Bürgermeister in mittelgroßen Städten belegen. 50 % der Bürgermeister von Städten mit mehr als 9.000 Einwohnern, obwohl die Republikaner nur 8,5 % der Stimmen bei den letzten Europawahlen erhielten. Gleiches gilt für die Wiederwahl von Anne Hidalgo in Paris (Sozialistin), Jean-Louis Moudenc (Republikaner) in Toulouse oder des Premier Ministers Edouard Philippe mit über 58 % in Le Havre.
- Ein bemerkenswertes Ergebnis der Grünen, welche nun dank lokaler Wahlbündnisse mit den Sozialisten, die Oberbürgermeister in den Großstädten Lyon, Bordeaux, Strasbourg, Tours, Besancon, Annecy und Poitiersstellen; Olivier Faure, Generalsekretär der Parti socialiste, räumt ein, er könne einen grünen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2022 unterstützen…
- La République En Marche (LREM) zählt nun ca. 100 (Ober-) Bürgermeister, und 10.000 Kommunalvertreter (von insgesamt 500.000), konnte jedoch keine einzige Großstadt für sich behaupten und kaum amtierende Bürgermeister für sich gewinnen.
- Frauen haben in Großstädten gepunktet: In Paris behauptete sich Anne Hidalgo gegenüber zwei weiteren Kandidatinnen (übrigens wie sie selbst mit Migrationshintergrund: Agnes Buszyn’s Vater floh von Polen nach Israel, bevor er 1956 nach Frankreich zog, die Eltern von Rachida Dati stammen aus Marrokko und Algerien, Anne Hidalgo wanderte 1961 mit ihren Eltern aus Spanien ein!). Zwei Frauen kämpfen für das Amt in Marseille: Die Sozialistin Michèle Rubirola und Martine Vassal der Republikaner haben dieselbe Zahl an Stadtabgeordneten erhalten. Das Stadtparlament wird am 4. Juli entscheiden, wer von den beiden Bürgermeisterin wird… und in Lillekonnte Martine Aubry sich (mit knappen 227 Stimmen Vorsprung) zum vierten Mal durchsetzen.
Ich wünsche Ihnen Allen schöne und gesunde Ferien in der Hoffnung, dass die Bewegungsfreiheit die notwendige soziale Distanz nicht in Vergessenheit drängt, damit wir einer zweiten Welle entkommen.
Christophe Braouet