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Commentaires Mai 2020

Schon jetzt können wir festhalten, was Angela Merkel hierzu anlässlich ihrer Pressekonferenz am 20. April sagte: Wir werden schnelle Antworten auf diese Pandemie brauchen. Deutschland wird sich an solidarischen Antworten (der EU) beteiligen – über das hinaus, was wir jetzt schon mit den 500 Milliarden Euro haben.“

Fakt ist, dass die bevölkerungsstarken Länder der EU gleichermaßen durch die Corona-Pandemie betroffen sind, mit einer Ausnahme: Deutschland hat deutlich weniger Todesfälle zu beklagen und deutlich mehr Genesungsfälle zu melden. Auch weltweit ist Deutschland (nach Israel) das Land mit der besten Handhabung der Krise. Zu Recht vertrauen also 68 % der Deutschen der Regierung und den getroffenen Maßnahmen (Forsa Umfrage am 20./21. April). Anders die Situation in Frankreich: 58 % der Franzosen vertrauen der Regierung nicht (OpinionWay Covidrect für Les Echos am 27. April). 

  Frankreich Deutschland USA Italien Spanien 
Erster Fall 24.1. 27.1 23.1. 31.1 1.2.
Fälle am 3.4.  59.529 84.794 245.573 115.242 112.065
am 30.4. 166.543 161.539 1.040.488 203.591 236.899
Todesfälle   3.4. 5.387 1.107 2.118 13.915 10.348
30.4. 24.087 6.467 58.355 27.682 24.275
Genesen am 30.4. 12.548 22.440 9.228 18.278 26.743
am 30.4. 49.118 123.500 124.023 71.252 132.929
Test-Anzahl (*) 464.000 2.500.000 6.026.170 1.847.000 1.346.000
in % der Bevölkerung  0,7 %  3,1 %  1,8 %  3,0 %  2,7 %
Quellen: Johns Hopkins Corona Resource Center (Daten per 3. & 30. April 2020, 8 Uhr 30)
(*) Statista per 30.04.2020 

Die Zahlen sprechen für sich: Deutschland hat fünfmal mehr Tests als Frankreich durchgeführt. Der Monatsrhythmus von ca. 500.000 Tests in Deutschland ist das ausgerufene Ziel; in Frankreich … ab dem 11. Mai. 

Darüber hinaus verfügt Deutschland über deutlich mehr Intensivbetten: Vor der Krise waren es 25.000, aktuell 40.000. In Frankreich stehen dagegen lediglich 5.400 zur Verfügung (vom Statistikamt INSEE erfasste « lits de réanimation »). 

Insgesamt sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen in Deutschland ca. 20 % höher als in Frankreich. (5.986 US$ p.a. pro Kopf im Vergleich zu 4.964 in Frankreich). Alle scheinen sich einig zu sein, dass das Gesundheits- (und Pflege)-Personal in Zukunft besser bezahlt werden muss. Hoffentlich bleibt dies auch nach der Krise in Erinnerung, bedeutet aber eine weitere Ausweitung der französischen und europäischen Defizite… 

Wirtschaft/Finanzen: Die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen sind gravierend.

Der IWF schätzt den weltweiten wirtschaftlichen Rückgang auf mindestens 3 % ein. Alle Länder – mit Ausnahme von Indien und China – werden eine Rezession erleben: Das BIP wird in Deutschland um 7 %, in Frankreich um 7,2 % abnehmen, um 2021 in Deutschland um 5,2 % und in Frankreich um 5 % zu wachsen. 

Die Staatshaushalte sind durch die Maßnahmenpakete stark belastet und führen zur deutlichen Ausweitung der Auslandsverschuldung: Diese dürfte im Euroraum im gewichteten Durchschnitt von 105 auf 122 % steigen, 72 % für Deutschland, ca. 115 % für Frankreich. Kein gutes Vorzeichen bei der nunmehr ab 2021 erwarteten Erhöhung der Inflationsrate.

Die Antworten der Politik: Wird es einen „Hamilton-Moment“ geben? 

Vor diesem Hintergrund und der so stark wirtschaftlich integrierten europäischen Staaten ist eine gemeinsame Lösung unentbehrlich: ganze 60 % der deutschen Exporte gehen in EU-Staaten. Werden wir einen „Hamilton-Moment“ erleben, genannt nach dem jungen Finanzminister der amerikanischen Konföderation, der beschloss sämtliche Schulden der 1790 vereinigten US-Bundesstaaten auf US-Bundesebene zu übernehmen?  

Wolfgang Schäuble und Richard Ferrand haben am 6. April in einer gemeinsamen Presse-mitteilung gewünscht: Gerade angesichts dieser Herausforderung muss sich die deutsch-französische Freundschaft und muss sich Europa bewähren. (…)Angesichts dieser Krise ungekannten Ausmaßes müssen wir jedoch auch über neue Schritte hin zu mehr Solidarität und finanzpolitischer Integration nachdenken. Wir sind überzeugt, dass diese Debatte geführt werden sollte, und dass unsere Parlamente ihren Beitrag leisten können, um Missvertändnisse auszuräumen und gemeinsam voranzukommen.“

Die beiden Staatshäupter haben sich ähnlich während des Osterwochenendes ausgesprochen. Abgesehen von der unterschiedlichen Dauer ihrer Ansprache (9 Minuten für Steinmeier, 27 für Macron) haben beide Ansprachen vieles gemeinsam.  

Steinmeier hebt die Notwendigkeit einer neuen Akzentsetzung hervor: „die Welt danach wird eine andere sein. Wie sie wird? Ich glaube: Wir stehen jetzt an einer Wegscheide. Schon in der Krise zeigen sich die beiden Richtungen, die wir nehmen können. Entweder jeder für sich, Ellbogen raus, hamstern und die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen? Oder bleibt das neu erwachte Engagement für den anderen und für die Gesellschaft?  (…) Suchen wir auf der Welt gemeinsam nach dem Ausweg oder fallen wir zurück in Abschottung und Alleingänge? Teilen wir doch alles Wissen, alle Forschung, damit wir schneller zu Impfstoff und Therapien gelangen, und sorgen wir in einer globalen Allianz dafür, dass auch die ärmsten Länder Zugang haben, die am verwundbarsten sind.“

Macron meint, nachdem er „Defizite, Verwerfungen“ konzediert hat: “Es ist für uns eine Stunde der Wahrheit, die von uns mehr Ehrgeiz, mehr Mut, eine Neugeburt zur Pflicht macht. Wir müssen auch unseren Nachbarn in Afrika helfen wirksamer gegen den Virus zu kämpfen, ihnen auch wirtschaftlich helfen indem wir massiv ihre Schuld erlassen. (…) Es ist unsere Pflicht eine neue Zusammenarbeit und Solidarität zu errichten. Wir müssen für Frankreich eine landwirtschaftliche, gesundheitliche, industrielle und technologische Unabhängigkeit und für Europa eine größere strategische Autonomie erreichen.” 

Beide wünschen sich mehr Europa. 
Steinmeier
: „Und zeigen wir es bitte auch in Europa! Deutschland kann nicht stark und gesund aus der Krise kommen, wenn unsere Nachbarn nicht auch stark und gesund werden. Diese blaue Fahne steht hier nicht ohne Grund. Dreißig Jahre nach der Deutschen Einheit, 75 Jahre nach dem Ende des Krieges sind wir Deutsche zur Solidarität in Europa nicht nur aufgerufen – wir sind dazu verpflichtet!“


Macron: „Ich werde unsere Stimme für mehr Einheit und Solidarität nach Europa tragen. Die ersten Entscheidungen sind in die richtige Richtung gegangen und wir haben uns stark dafür eingesetzt, ob es dabei um die Europäische Zentralbank geht, die Europäische Kommission oder die Regierungen.“ 

Die getroffenen Maßnahmen
Die Europäische Union hat am 9. April ein Maßnahmenpaket in Höhe von € 540 Mrd. € verabschiedet. Hierbei handelt es sich um einen Garantiefonds für Kredite an KMU’s iHv € 200 Mrd. über die Europäische Investitionsbank (EIB), einer vorsorglichen Kreditlinie iHv € 200 Mrd. für die Unterstützung der Eurostaaten (über den ESM), sowie um die Kurzarbeiterinitiative der Kommission in Höhe von € 100 Mrd. Diese Mittel müssen auch als europäische Mittel bei den Begünstigten wahrgenommen werden!

Und die EU-Regierungen haben grundsätzlich der Einräumung eines nachhaltigen Wiederaufbaufonds in Höhe von bis zu 1.500 Mrd. €, bzw. der entsprechenden Aufstockung des EU-Haushalts zugestimmt.

Auf nationaler Ebene wurden ähnliche Maßnahmenpakete verabschiedet, jedoch mit nahezu doppelt so hohen Budgets in Deutschland: Wirtschaftsstabilisierungsfonds, Erhöhung der Kurzarbeitermaßnahmen (Frankreich ab 20. März bis zu 84 % des Nettogehalts, Deutschland 22. April um 10 % nach 4, 20 % nach 7 Monaten erhöht), Zuschüsse für Kleinunternehmen, Sonderprogramme für die Gastronomie usw. …

Wie geht es weiter?
Nach fast zwei Monaten Lock-down wurde in beiden Ländern eine (sehr progressive) Lockerung beschlossen, ab dem 20. April in Deutschland und ab dem 11. Mai in Frankreich. 
Geschäfte 
dürfen wieder öffnen (bis zu einer Fläche von 800 m2 in Deutschland, 40.000 min Frankreich). Der Schulbetrieb wird wieder aufgenommen, wobei in Frankreich mit Krippen und Grundschulen angefangen wird – auf freiwilliger Basis (sic), während in Deutschland die Abschluss-Klassen vorgezogen werden. Interessant ist das Ergebnis einer Meinungsumfrage in Frankreich, wonach je niedriger das Familieneinkommen, desto geringer der Wunsch auf Wiedereinschulung besteht (Ondaxa-Umfrage am 17. April für Figaro und Franceinfo): 17 % der Familien mit Einkünften unter 1.500 € netto pro Monat wollen dies, 38 % für Einkünfte zwischen € 1.500 und 3.500 € und 48 % für Einkünfte über 3.500 €. 

Auch die Grenzen bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Derzeit heißt es auf der Homepage des französischen Außenministeriums: „Aufgrund der aktuellen Covid-19 Gesundheitskrise haben Frankreich und seine europäischen Partner beschlossen, internationale Reisen drastisch zu verringern und die Außengrenzen des europäischen Raums zu schließen. (…) Wir bitten Sie deshalb, Ihre Reise nach Frankreich auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. (Stand 30. April 2020)

Nun stehen die Sommerferien bevor. Die Tourismus-Branche ist für beide Länder von besonderer Bedeutung. 2018 haben Deutsche 18,2 Millionen Übernachtungen in Frankreich gebucht, Franzosen 2,5 Millionen Nächte in Deutschland. Dieser Tourismus trägt entscheidend zum deutsch-französischen Selbstverständnis bei. Es ist davon auszugehen, dass Strand-und Massentourismus diesen Sommer sehr wahrscheinlich nicht möglich sein werden. Es besteht aber die Möglichkeit ein deutsch-französisches Zeichen zu setzen und die Lage als Chance für den nachhaltigen Tourismus zu begreifen! 

Hierzu müssen Paris und Berlin den grenzüberschreitenden “Öko- Tourismus“ zulassen (Hausboote, Urlaub auf dem Hof, Häuservermietungen usw. …). Durch systematische Tests bei Überquerung der Grenze, wären diese Urlauber sogar Musterbürger!

Christophe Braouet