Paris hält Frankreichs Integrationspolitik für gescheitert
Strengere Vorgaben der Regierung / Treffen mit Schäuble
FRANKFURT, 1. Februar. Der französische Minister für Einwanderung, Integration und nationale Identität, Brice Hortefeux (unser Bild), hält die französische Integrationspolitik „alles in allem für gescheitert“. Das sagte Hortefeux am Donnerstagabend bei den zweiten „Deutsch Französischen Gesprächen in Frankfurt“ auf einer Podiumsdiskussion mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDV). Mit Blick auf viele Vorstädte (die „Banlieue“) um Paris, Lyon und Marseille sprach Hortefeux von einem „spektakulären Scheitern“. Der französische Staat habe dort viele Milliarden Euro ausgegeben, ohne das Problem gelöst zu haben. Während sich nach Hortefeux‘ Angaben 60 Prozent der Einwandererfamilien in den drei Regionen um die genannten Großstädte niedergelassen haben, wies Schäuble darauf hin, dass in Deutschland fast „jedes Dorf“ mit Fragen der Integration konfrontiert sei.
Hortefeux stellte dar, dass Frankreich die Steuerung der Einwanderung als Vorbedingung für eine bessere Integrationspolitik ansieht. Im Auftrag von Staatspräsident Sarkozy hat Hortefeux den Präfekten strenge Zahlenvorgaben für Abschiebungen gemacht. Einwanderer im Rahmen der Familienzusammenführung sollen, wie auch in Deutschland inzwischen beschlossen, Sprachkenntnisse nun schon vor ihrer Einreise nachweisen. Hortefeux plant, Einwanderungsanträge strenger als bisher darauf hin zu prüfen, ob den Einwanderern angemessener Wohnraum zur Verfügung steht. Unmittelbar nach der Ankunft sollen die Einwanderer nun in einem ausführlichen Orientierungsgespräch ihre Erfahrungen und Qualifizierungen darstellen. Davon verspricht sich die Regierung eine bessere Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
Nachdrücklich wies Hortefeux darauf hin, dass Schulversagen ein eng mit der Integrationsfrage verknüpftes Problem darstellt.
In der Vergangenheit hat Frankeich immer wieder große Programme für Banlieue-Schulen aufgelegt, die in dieser Hinsicht offenbar kaum gefruchtet haben. Schäuble sagte, von Frankreich sei zu lernen, dass für die Integrationspolitik Ganztagsschulen nicht unter allen Umständen falsch“ seien und eine möglichst frühe Einschulung Vorteile biete.
Schäuble sprach sich ebenfalls für eine erstärkte Steuerung der Einwanderung aus, ging aber nicht auf die Ankündigung Hortefeux‘ ein, dass seine Regierung ihre EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte intensiv dafür nutzen wolle, eine gemeinsame europäische Politik auf diesem Feld zu verabschieden. In Brüssel hat Berlin immer wieder Versuche abgewehrt, die Einwanderungspolitik zu vergemeinschaften.
Hortefeux machte deutlich, dass der steigende Bedarf an Haushaltsdienstleistungen in den alternden Gesellschaften Westeuropas Einwanderung erforderlich mache; anders als Deutschland brauche Frankreich wegen seiner höheren Geburtenrate aber nicht Einwanderer, um Bevölkerungsverluste auszugleichen. Schäuble dagegen vertrat die Ansicht, auf Dauer müsse Arbeit in Deutschland so gestaltet und entlohnt werden, dass die hier lebenden Menschen bereit seien, sie zu verrichten. Es könne nicht sein, dass ausbleibende polnische Erntehelfer nun etwa durch ukrainische ersetzt würden.
Hortefeux, seit Jahrzehnten ein enger Weggefährte Sarkozys, versprach, Frankreich werde nicht ohne Deutschland vorpreschen. Paris wisse, dass es gegen Berlin in der EU nichts erreichen könne. Frankreich will nicht nur eine europäische Grenzpolizei aufbauen, sondern auch Abschiebungen gemeinschaftlich organisieren, eine gemeinsame Asylpolitik vereinbaren und alle Mitgliedstaaten darauf festlegen, von massiven Amnestien für illegale Einwanderer abzusehen, wie es sie in Spanien und Italien immer wieder gab. Hortefeux hob hervor, dass ein verstärkter Dialog mit den (afrikanischen) Herkunftsländern der Einwanderer und eine verstärkte europäische Entwicklungshilfe wichtiger Teil seiner Strategie seien.
Schäuble äußerte ~großen Respekt“ vor Funktionären des türkischen Verbandes Ditib, die angekündigt haben, am Kölner Rosenmontagszug auf einem Wagen teilzunehmen, der sich über die Moscheebau-Debatte lustig macht. Zugleich empfahl er den Deutschen mehr Patriotismus, um den Einwanderern die Integration nach Deutschland schmackhafter zu machen. Seine Ressortzuständigkeit für die „nationale Identität“ rechtfertigte Hortefeux mit der Bemerkung, im Gegensatz zu Deutschland sei es in Frankreich der Staat gewesen, der die Nation geformt habe.